Heißt es Pfifferlinge oder Eierschwammerln? Die Germanistin Jutta Ransmayr sagt: beides!

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Vor 70 Jahren wurde das Österreichische Wörterbuch gegründet. Ein guter Anlass, um mit Linguistin Jutta Ransmayr über die Entwicklung des Österreichischen aus wissenschaftlicher Sicht zu sprechen. Die Videoversion dieses StandART-Interviews finden Sie hier.

STANDARD: Verwenden wir Journalisten das Wort "lecker", gehen die Wogen hoch. Wie ist das bei Ihnen: Benutzen Sie das Wort?

Ransmayr: Ich habe nichts gegen "lecker", ich verwende das Wort auch ab und zu. "Lecker" hat genauso wie das Wort "tschüss" Einzug in unseren Sprachgebrauch gehalten. Darüber kann ich mich nicht aufregen.

STANDARD: Sprachpuristen empören sich.

Ransmayr: Man muss genau hinschauen und den situativen Kontext einbeziehen: Wer spricht mit wem worüber unter welchen Umständen. Je nach Kontext ist "lecker" angemessen oder auch nicht. Die Linguistik verfolgt keinen Sprachpurismus und will auch keine Sprachpolizei sein. Sie beschreibt.

STANDARD:"Tschüss" wird mittlerweile häufiger gebraucht als "servus", "Tomaten" öfter als "Paradeiser". Wird die deutsche Sprache uniformer?

Ransmayr: Es findet ein Sprachwandel statt, das ist normal. Viele bundesdeutsche Begriffe finden Einzug in die österreichische Standardsprache, manche halten sich, andere nicht. Das bedeutet aber nicht, dass man sich um österreichisches Deutsch Sorgen machen muss. Es gibt Anpassungsphänomene, das hat mit der allgemeinen Mobilität zu tun, aber auch mit Massenmedien, durch die wir in andere Sprachräume eintauchen. Trotzdem ist österreichisches Deutsch eine stabile Größe.

STANDARD: Das österreichische Deutsch befindet sich nicht auf dem Rückzug?

Ransmayr: Nein, das lässt sich so nicht sagen, auch wenn es sich durchaus mit bundesdeutschen Begriffen mischt. Österreichisches Deutsch macht viel mehr aus als der Wortschatz, genauso wichtig sind etwa Satzkonstruktionen oder die Sprachmelodie.

STANDARD: Vor 70 Jahren war es alles andere als klar, welche Position das Österreichische innerhalb der Varietäten des Deutschen einnimmt. Damals wurde das Österreichische Wörterbuch gegründet. Wie politisch war das?

Ransmayr: Das war eine sprachpolitische Maßnahme, die dazu gedacht war, identitätsstiftend zu sein. Man hat Identitätsmanagement betrieben. 1951 erstmals erschienen, war das Wörterbuch ab 1972 in der Schulbuchaktion enthalten und hat so seinen Weg in die österreichischen Haushalte gefunden. Es gab aber auch schon vorher Vorläufer für ein Österreichisches Wörterbuch, die ersten Intentionen lassen sich bereits unter Maria Theresia festmachen.

STANDARD: Bis hinein in die 60er-Jahre versuchte man das Wort "deutsch" partout zu vermeiden. Kam es in der Nachkriegszeit zu einer künstlichen sprachlichen Austrifizierung?

Ransmayr: Überhaupt nicht. Man hat in ein Nachschlagwerk gegossen, was war, da musste nichts neu erfunden werden. Der Begriff "deutsch" wurde in der Tat vermieden. Man verwendete süffisant den Begriff "hurdestanisch", weil der damalige Unterrichtsminister Hurdes verfügte, dass das Unterrichtsfach Deutsch nicht Deutsch heißen soll, sondern Unterrichtssprache. Das hat damit zu tun, dass es Minderheiten gibt, die im Fach Unterrichtssprache Slowenisch oder etwa Ungarisch lernten. Aber natürlich wollte man sich mit der Vermeidung des Wortes "deutsch" auch vom Nachbarstaat distanzieren.

STANDARD: 1979 wurden 5000 Wiener Wörter aufgenommen, wodurch sich prompt Widerstand in Süd- und Westösterreich regte. Gibt es die Ostlastigkeit des Wörterbuchs noch?

Ransmayr: Diesen Vorwurf musste man sich eine Zeitlang in der Tat gefallen lassen, ich bin aber überzeugt, dass man heute ganz Österreich im Wörterbuch besser abbildet. Die Methoden, die dabei helfen, welche Worte aufgenommen und welche weggelassen werden, haben sich vervielfältigt, es gibt eine Korpusgrundlage, das Austrian Media Corpus, das herangezogen wird, es gibt Studienergebnisse, die einfließen. Das Wörterbuch ist seit seinen Anfängen immens gewachsen, von ca. 23.000 auf über 90.000 Stichwörter.

STANDARD: Aber auch heute ist es so, dass Ostösterreicher behaupten, Worte wie Pfifferlinge oder Metzger seien bundesdeutsch. Wird die österreichische Standardsprache vom ostösterreichischen Sprachgebrauch bestimmt?

Ransmayr: Da müssen wir erst klären, was wir unter österreichischem Standarddeutsch verstehen. In der Linguistik geht man davon aus, dass österreichisches Deutsch die in Österreich verwendete Standardsprache bezeichnet. Da sind durchaus unterschiedliche Sprachformen eingeschlossen, weil die Sprache etwa im Westen anders ist als im Osten. Auch Metzger oder Pfifferlinge gehören zum österreichischen Deutsch, wenn es bei ihrem Gebrauch zu einem Aufschrei kommt, hängt das damit zusammen, dass Menschen die Wörter mit Deutschland assoziieren.

STANDARD: Gibt es ein mangelndes Bewusstsein für die Breite der österreichischen Sprache?

Ransmayr: Ich würde noch weiter gehen und sagen, dass es prinzipiell noch zu wenig Bewusstsein für österreichisches Deutsch gibt. Mittlerweile hat österreichisches Standarddeutsch auch in Schulbücher Einzug gehalten, das war lange nicht der Fall. In der Linguistik versteht man unter österreichischem Deutsch zwar das österreichische Standarddeutsch, es spricht aber vieles dafür, dass man unter österreichischem Deutsch alle Varietäten subsumiert, die in Österreich in Verwendung sind: von Standardsprachlichen über umgangssprachliche bis hin zu dialektalen Varietäten.

STANDARD: Germanisten erklären gerne, dass österreichisches Deutsch ein südbairischer Dialekt sei. Ist Österreichisch keine eigene Sprache?

Ransmayr: Da muss man sauber trennen: Betrachtet man die Sprache dialektologisch, dann unterscheidet man historisch gewachsene Dialektareale. In diesem Fall würde man von südbairischen, mittelbairischen oder oberdeutschen Dialekträumen sprechen. Bairisch mit i geschrieben, nicht mit y wie bei der Bezeichnung Bayern. Es gibt sprachliche Gemeinsamkeiten, die staatsgrenzenübergreifend sind, es gibt Dialekte, die diesem größeren Dialektraum zuzuordnen sind. Aber österreichisches Deutsch als Dialekt zu bezeichnen wäre eine falsche Schlussfolgerung.

STANDARD: Stimmen Sie also der Aussage zu, dass Österreichisch eine eigene Sprache ist?

Ransmayr: Das ist eine heikle Frage: Österreichisch ist keine eigene Sprache, es ist eine Standardvarietät des Deutschen, eine Ausprägung der Standardsprache Deutsch neben anderen Standardvarietäten wie Schweizerdeutsch oder bundesdeutschem Deutsch.

STANDARD: Der Linguist Max Weinreich sagt: "Eine Sprache ist ein Dialekt mit einem Heer und einer Kriegsflotte." Was er damit sagen will, ist, dass es ein machtpolitisches Kräftemessen ist, wann ein Dialekt zur Sprache wird.

Ransmayr: Da kommen wir wieder zum identitätsstiftenden Moment, worüber wir anfangs gesprochen haben. In Österreich ist das staatsnationale Bewusstsein seit den 1950er-Jahren stark angewachsen. Seit den 1980er-Jahren haben wir hohe Zustimmungsraten zur Vorstellung von Österreich als Nation. Und damit ist auch das Bewusstsein für österreichisches Deutsch stärker geworden. Österreichisches Deutsch ist ein wichtiges Element österreichischer Identitätskonstruktionen. (Stephan Hilpold, 26.9.2021)