Rod González, Bela B und Farin Urlaub untersuchen wieder einmal, wie das Doofe in die Welt kam.

Foto: Jörg Steinmetz

War es nun Bertrand Russell oder Charles Bukowski, der diese Problematik zur Sprache brachte? Eine der großen ungelösten Menschheitsfragen lautet jedenfalls so: Warum sind sich die Trottel ihrer Sache immer so sicher – und weshalb neigen die Schlaueren zum Zweifeln? Wir befinden uns mitten im neuen Album der populärphilosophischen Institution Die Ärzte. Bela B, Farin Urlaub und Rod González sind der Richard und der David und der Precht des deutschen Punkrock!

Die frisch erschienene Liedersammlung nennt sich nach dem Vorjahresalbum Hell folgerichtig Dunkel. Das sagt uns etwas. Eine Medaille hat zwei Seiten, der Mond auch – und das Yin braucht das Yang wie das Manische das Depressive. Der Song, in dem die entscheidende große Frage in den Raum gestellt wird, nennt sich Doof.

Das ist ein bundesdeutsches Synonym für das hiesige "deppert": "Was ist eigentlich grad los? / Warum beschäftigen wir uns bloß / Mit so viel Unfug, was ist denn der Grund? / Muss denn unser Hirn verrosten / Von dem Bullshit dieser Pfosten? / Das wär auf Dauer nicht gesund / Es gibt Leute, die glauben, dass die Welt ’ne Scheibe ist / Und Homosexualität soll heilbar sein / Menschen flüchten nur, um uns die Arbeit wegzunehm’n/ Und den Klimawandel bilden wir uns ein, oh nein, oh nein …"

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Zu einem fröhlichen Ska-Rhythmus, einer schnelleren und weniger verrauchten Vorstufe des Reggae, gelangen Die Ärzte zu einer zwar schon öfters im Bereich der resignativen Erkenntnis getätigten, aber noch nicht von allen postulierten These: "Doof bleibt doof / Da helfen keine Pill’n, nicht beim allerbesten Will’n / Denn doof bleibt doof."

Wir befinden uns im Zeitalter der Experten. Jeder und jede haben eine Meinung, aber die eigene gilt. Sonst wird die Gesellschaft gespalten. Politiker halten Pressekonferenzen ab, um mit ärztlichem Attest zu beweisen, dass sie nicht gegen Covid- 19 geimpft wurden. Taxifahrer und vegane Köche legen Studien zur Hirndurchseuchung vor.

Die Ärzte leiten einen breitbeinigen Rockhadern namens Menschen mit einem A-cappella-Intro im Stile der Comedian Harmonists ein: "Ich schlag die Zeitung auf und denke mir was für’n Theater / Ich glaub die Menschheit sollte mal zum Psychiater / Der Zustand ist ein harter – und ganz und gar desolater / Und darum nährt sich der Verdacht / Menschen sind für Menschen ... nicht gemacht."

Die drei Schlingel

Für die Single Noise scheinen sich die drei Schlingel nicht nur mit dem gleichnamigen Grundlagenwerk des US-Psychologen Daniel Kahneman beschäftigt zu haben. Der denkt über verhaltensbezogene Ökonomie ebenso nach wie auch über den heute etwas ins Hintertreffen geratenen Hedonismus. Die hedonistische Psychologie untersucht Gefühle wie Freude, Schmerz, Befriedigung und Langeweile.

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Sie kann sich aber auch im Lied Anastasia als Ergänzung zum Ärzte-Klassiker Männer sind Schweine mit Frustrationsintoleranz auseinandersetzen: "Anastasia, ich bin hier, doch du bist nicht mehr da / Anastasia, ich weiß, du warst so kalt wie Eis und ganz wunderbar / Anastasia, mein Selbstbewusstsein ist gerade in Gefahr / Meine nächste Frau wird wieder aufblasbar."

2021 heißt es für alle tapfer sein. Dafür wurde auch das Lied Besser gemacht: "Beim nächsten Mal wird alles anders, beim nächsten Mal wird alles gut." Musikalisch klingt das Album etwas rockistisch. Die anstehende herbstliche Hallentournee wurde gerade aus den bekannten Gründen abgesagt. Den Stein ins Gesicht kann man sich nächstes Jahr bei den Stadionkonzerten abholen. (Christian Schachinger, 24.9.2021)