Der Traum vom klimaneutralen Fliegen nimmt Form an. "Null Emission" steht auf den tischgroßen Flugzeugmodellen, die Airbus diese Woche auf einer Technologietagung präsentierte. Nicht einmal einen klimaschädlichen Dunstschleier werden sie in der Atmosphäre zurücklassen. Möglich macht es die Wasserstofftechnologie. "Wir müssen die Gesetze der Physik nicht einmal neu erfinden", freut sich Guillaume Faury. "Wasserstoff wird schon seit langem zur Fortbewegung verwendet, namentlich in der Raumfahrt."

Mit der Priorität Wasserstoff "packt Airbus den Stier bei den Hörnern", meint der französische Airbus-Chef am Geschäftssitz in Toulouse. In den letzten Jahren hatte der deutsch-französisch-spanische Konzern noch stärker auf Biotreibstoffe gesetzt. Oder auf Elektrizität, mit der Modelle wie der E-Fan über den Ärmelkanal flogen. Nach zweijährigem, Covid-bedingtem In-sich-Gehen beschleunigt Faury nun die Wasserstoffentwicklung.

Auch die Luftfahrt muss grüner werden. Soviel steht fest.
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Forschungschefin Sabine Klauke präzisiert: "In knapp zehn Jahren soll das erste wasserstoffbetriebene Mittelstreckenflugzeug abheben, und bis 2035 soll es den Linienbetrieb aufnehmen." Die seit Juli amtierende Vorsteherin von 11.000 Ingenieuren ist sich der Herausforderung bewusst: Auch wenn die Technologie schon besteht, müssen die Flieger "völlig neu gedacht werden", wie Klauke ausführt. Der tiefgekühlte Treibstoff kann nicht mehr in den Flügeln untergebracht werden, er dürfte in Zukunft das hintere Drittel des Rumpfes belegen. Das ändert alles – bis hin zum Antrieb und der gesamten Statik des Fliegers. Airbus prüft daher sogar ein futuristisch anmutendes, einem Rochen gleichendes Dreiecksflugzeug ohne Flügel.

Alles neu konzipieren

Damit Wasserstoff das heutige Kerosin breitflächig ersetzen kann, müssen auch die Treibstofflager, ja die Flughäfen neu konzipiert werden. Auf dem sogenannten "Airbus-Gipfel" wurde bekannt, dass der europäische Flugzeugbauer zusammen mit dem Bauriesen Vinci und dem Gaskonzern Air Liquide am Flughafen Saint-Exupéry in Lyon eine Tankstation für Wasserstoff schafft. Sie soll ab 2023 vorerst Busse und Lastwagen, später auch Flugzeuge bedienen können.

Ein Problem liegt beim Wasserstoff – wie beim Biotreibstoff – in seiner Knappheit, wie Timur Gül von der Internationalen Energieagentur (IEA) sagt. Nicht nur die Luftfahrt-, sondern die gesamte Schwerindustrie reiße sich um den umweltfreundlichen Kraftstoff. Airbus-Chef Faury will ihn deshalb fürs Erste auf Regionalflieger beschränken. Wegen seiner Energiedichte wäre Wasserstoff geradezu prädestiniert für Langstreckenflüge, die heute rund die Hälfte der Luftfahrtemissionen verursachen. David Morgan von der Airline Easyjet erklärt, mit Wasserstoff würde sogar ein Nonstopflug von London nach Neuseeland möglich sein.

Airbus präsentiert nahe Toulouse Prototypen für klimaneutrales Fliegen, darunter ein viermotoriges Flugtaxi mit Elektroantrieb.
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Doch Wasserstoff wirft Gewichts-, Platz und Infrastrukturprobleme auf, selbst wenn er weltweit klimaneutral hergestellt werden sollte. Auch wenn viele Weichenstellungen noch ausstehen, scheint es, dass Airbus eine Dreiteilung anvisiert:

Kürzeststrecken, wie sie etwa das urbane Taxi "City-Airbus" mit seinen vier Flachpropellern ab 2025 in Megastädten anbieten wird, sollen mit Elektrobatterien absolviert werden. Kurz- und Mittelstrecken sollen ab 2035 mehr und mehr mit Wasserstoff funktionieren. Nur Langstrecken müssen laut Faury "noch sehr lange" mit herkömmlichem Kerosin, Biosprit oder Hybridlösungen auskommen.

Keine Wunderlösung

Klauke schränkt ein, Wasserstoff sei kein "silver bullet", also keine Wunderlösung: "Andere Optionen werden weiter geprüft." Immerhin geht Airbus das Wagnis ein, seine Zukunft auf diesen klimaneutralen Kraftstoff auszurichten. Die amerikanische Boeing wählt den einfacheren, aber auch sichereren Weg des Biosprits, genannt SAF (Sustainable Aviation Fuel). Dieser nachhaltige Flugzeugtreibstoff senkt den CO2-Ausstoß um 80 Prozent und ist schon heute verwendbar, auch wenn er aus Kostengründen kaum zum Einsatz kommt.

Faury räumte ein, die Branche sei noch nicht bereit für den Umstieg auf Wasserstoff. Wenn aber der Branchenleader – gemeint: Airbus – den Weg vorzeichne, würden die Zulieferer folgen. "Sogar die Motorenbauer beginnen bereits, sich auf Wasserstoff einzustellen", freut sich Faury.

Die Fluggesellschaften sind eher skeptisch, wie sich in Toulouse zeigte. Die Lufthansa-Vertreterin Annette Mann erklärte, für ihr Unternehmen habe SAF "Vorrang". Vorläufig sei Biosprit einfach realistischer als Wasserstoff. Auch die Kunden verlangten danach. Zugleich wählten sie systematisch den billigsten Flug, schränkte Mann ein. Ohne Preiserhöhungen wird die technologische Revolution der Luftfahrtbranche allerdings nicht abgehen, selbst wenn Airbus vonseiten der EU auf Milliardensubventionen für sein Wasserstoffabenteuer hofft. (Stefan Brändle aus Toulouse, 25.9.2021)