Mit dem Abschied von Angela Merkel geht nach 16 Jahren eine politische Ära zu Ende. Aber bedeutet das auch einen Neubeginn?

Noch im Frühjahr war in Deutschland so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Annalena Baerbock hatte ihre Kandidatur als Kanzlerkandidatin bekanntgegeben. Blitzgescheit, jung, weiblich, mit Zukunftsideen – das war etwas Neues, Unverbrauchtes, nach vorne Gewandtes. Der Medienhype legte sich schnell, Baerbock stolperte über sich selbst und überzogene Erwartungen.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD), Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Gruene) und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU).
Foto: imago images/Rene Traut

Die Überraschung des Wahlkampfes war vielmehr der Sozialdemokrat Olaf Scholz: Er stieg in den Umfragen wie Phönix aus der Asche der deutschen Sozialdemokratie – bezeichnenderweise mit dem Konzept, möglichst unauffällig zu bleiben und sich ansonsten darauf zu berufen, als einziges Regierungsmitglied für Kontinuität zu stehen. Wechselstimmung sieht anders aus.

Bitte nicht falsch verstehen: Dieser Wahlkampf war sicher nicht inhaltsleer. Aber der Wettbewerb der Ideen, Innovationen und der mutigen Konzepte blieb aus. Dabei hätte dieses seltsame Jahr 2021 so viel an historischen Aufgaben zu bieten, an denen Politiker und Politikerinnen sich und ihre Ideen messen könnten. Die Corona-Pandemie, der Klimawandel, Digitalisierung, die wachsenden Ungleichheiten, die globale Konkurrenz der politischen Systeme. All das stellt die Politik auf allen Feldern vor ungeahnte Herausforderungen.

Internationale Beobachter hatten lange den unangenehmen Eindruck, dass sich keiner der Kandidaten und Kandidatinnen wirklich der führenden Rolle der größten europäischen Volkswirtschaft Deutschland in Europa bewusst ist. Erst in der letzten TV-Diskussion der Spitzenkandidaten am Donnerstagabend kamen internationale Themen, vor allem zu Außen- und Sicherheitspolitik, zur Sprache.

Wettbewerb der Peinlichkeiten

Auffällig im Vordergrund stand auch ein gewisser Wettbewerb der Peinlichkeiten: Hängen blieben Armin Laschets Heiterkeit im Katastrophengebiet, das lange Ringen mit CSU-Konkurrent Markus Söder, grüne Volksgesänge oder geschönte Lebensläufe.

Die Demoskopen gehen für Sonntag von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem soliden Sozialdemokraten Scholz und dem blassen Unionskandidaten Laschet aus. Die Grüne Baerbock liegt mittlerweile deutlich hinter den Kandidaten der ehemals großen Volksparteien, gefolgt vom potenziellen Königsmacher Christian Lindner von der FDP. Erstmals seit Jahrzehnten könnte in der Bundesrepublik eine Koalition aus drei Parteien nötig werden.

Doch bekanntlich sind Umfragen nur Umfragen. Für Überraschungen könnte letztlich die hohe Anzahl der bis zuletzt Unentschlossenen sorgen. Jeder vierte befragte Wahlberechtigte weiß immer noch nicht, bei wem er sein Kreuz setzen soll. In den Wahlzellen werden am Sonntag jedenfalls die Köpfe rauchen. Strategisches Wählen ist in dieser komplexen Lage angesagt. Im Endeffekt läuft es weniger auf eine Entscheidung für eine Partei als vielmehr auf eine für eine Koalition hinaus.

Und vielleicht ist genau das das Problem: So recht kann man sich nach diesem verhaltenen Wahlkampf von keinem der Bündnisse vorstellen, dass es mit den Herausforderungen der Zukunft zurechtkommt. So mancher Wähler wird sich vielleicht wünschen, Angela Merkel hätte noch eine Zugabe gegeben. (Manuela Honsig-Erlenburg, 25.9.2021)