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Es komme vor, dass infizierte Kinder und Jugendliche am Mittwoch PCR-getestet und die Daten dann anonymisiert ins Labor geschickt werden – aber bis die Diagnose im offiziellen elektronischen Meldesystem aufscheint und entsprechende Bescheide ausgestellt werden, können Tage vergehen.

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Es ist nicht gerade leicht, immer noch den Überblick zu bewahren. Immerhin findet aktuell im zeitlichen Parallellauf durchaus Widersprüchliches statt: hier allgemeine Verschärfungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, da groß flächige Quarantänelockerungen im Schulbereich. Wie, bitte, passt das alles zusammen?

"Chaos" herrsche derzeit im Bildungssystem, berichten Medien, Eltern und Lehrkräfte. Auch die Oppositionsparteien führen das Wort gerne im Munde. Dabei sei "Chaos" schon per definitionem eine völlig unpassende Zuschreibung, belehrt der Bildungsminister im STANDARD-Interview. Heinz Faßmann (ÖVP) hatte trotzdem schon einmal mehr zu lachen, auch wenn er sich in der ORF-Sendung Willkommen Österreich zuletzt redlich bemüht hat, locker zu bleiben.

Freitags infiziert, montags Schule

Locker ist an den heimischen Schulen derzeit nämlich niemand so richtig. Dabei gibt es viele Standorte, an denen alles, was ein Pandemiemanagement benötigt, auch wirklich ziemlich gut läuft. Aber es gibt eben auch die Missgeschicke, die Überforderung, den täglichen Wahnsinn, der auch ohne gröbere Fehler vonseiten der Behörden den Schulalltag eher mühselig gestaltet.

Ninja-Pickerln, die gleich nach der PCR-Spülung, also noch vor dem Testergebnis, eingeklebt werden. Datensätze, die zur Systemüberforderung führen, wenn sie Umlaute, Binde- oder Schrägstriche enthalten: "Blöd nur, dass unsere Kinder alle 61–96/41/7 wohnen und die Namen aus Umlauten bestehen", schreibt eine Mittelschullehrerin im STANDARD-Blog. Mitunter werden die Speichelproben auch gar nicht erst abgeholt: Logistikprobleme.

Für Direktorin P. in Salzburg hat der Stress schon vor Schulbeginn begonnen. Eine Mutter meldete ihre Tochter am Freitag als Corona-positiv bei der Schulleitung, kündigte aber gleichzeitig an, "am Montag kommt sie eh in die Schule". Die Schulleiterin war perplex.

Mündlich hatte die Gesundheitsbehörde der Familie die Auskunft erteilt, dass bei einem CT-Wert von 27 (Stand Freitag) damit zu rechnen sei, dass dieser für die Infektiosität entscheidende Parameter bis Montag die Marke von 30 CT erreicht haben werde – heißt: unbedenklich. Letztlich war es auch so. Der Schulleiterin war bei dieser Vorgangsweise trotzdem flau im Magen.

Schwer wiegt auch die eine Woche nach Schulbeginn deutlich verkürzte Quarantänezeit für Schülerinnen und Schüler. Dass plötzlich nur noch die Sitznachbarn eines positiv getesteten Kindes als Verdachtsfall gelten und dass sich diese jetzt bereits nach fünf statt 14 Tagen aus der Selbstisolation testen können, kann Pädagogin P. nicht verstehen: "Aber als Schulleiterin kann ich hier gar nix bestimmen." Auch wenn viele Eltern bei ihr Frust ablassen: Zuständig ist die regionale Gesundheitsbehörde.

Bitte warten

Eva Winter zum Beispiel. Sie ist die Leiterin des Grazer Gesundheitsamtes. Ist sie also eine der Hauptverantwortlichen für das vermeintliche "Chaos", das einige in Zusammenhang mit Schule in Pandemiezeiten ausmachen wollen? Ganz so einfach ist das natürlich nicht.

Aber auch Frau Winter klagt: "Es ist alles sehr umständlich." So dauere es viel zu lange, bis behördlich auf eventuelle Covid-Infektionen in den Schulklassen reagiert werden könne. Infizierte Schüler blieben dadurch zu lange in den Klassen, ehe sie in Quarantäne geschickt werden können, sagt Winter.

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Die deutlich verkürzte Quarantänezeit für Schülerinnen und Schüler wirkt sich auf die Zahl der Quarantänebescheide aus.
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Es komme vor, dass infizierte Kinder und Jugendliche am Mittwoch PCR-getestet und die Daten dann anonymisiert ins Labor geschickt werden – aber bis die Diagnose im offiziellen elektronischen Meldesystem aufscheint und entsprechende Bescheide ausgestellt werden, können Tage vergehen.

Das heißt: "Es kann passieren, dass der Bescheid für eine fünftägige Quarantäne die Betroffenen an einem Tag erreicht, an dem sie sich schon wieder freitesten können. In dem Moment, wenn wir sie in Quarantäne schicken wollen, haben sie so zusagen bereits einen Freispruch in der Hand", sagt Winter.

Schuld daran sei einfach die komplizierte Bürokratie. Die PCR-Testergebnisse werden anonymisiert ans Labor geschickt. Versehen nur mit den QR-Codes der Getesteten. Aus Datenschutzgründen werden die Namen der Schülerinnen und Schüler nicht mitgeschickt.

Werden Infektionen entdeckt, gehen die entsprechenden QR-Codes vom Labor zurück an die Schule. Dort werden die Codes mit den jeweiligen Schülernamen verglichen und – nunmehr personalisiert – an die Labors zurückgeschickt. Diese wiederum melden die Daten ins elektronische Meldesystem ein. Erst dann werden die Daten im Gesundheitsamt registriert, bei den positiven Fällen wird Kontakt mit den Schulen aufgenommen. Bevor ein offizieller Quarantänebescheid erlassen wird, vergeht abermals wertvolle Zeit.

Ein Fall, viele Möglichkeiten

Komplex ist die Handhabe der Pandemiebürokratie auch für die Verantwortlichen in der Schule. Sie sind es, die festlegen müssen, wer als Sitznachbar in Quarantäne geht, wer in der Pause oder im Sesselkreis ohne Maske längere Zeit nahe an der positiv getesteten Person dran war. Ein Blick nach Wien: Je nach Ausgangslage (potenzieller Verdachtsfall / konkreter Verdachtsfall / Kontakt zu externem positiven Fall / Erkrankungsfall / positiver Antigen-Selbsttest) gilt es, einem anderen Ablauf zu folgen. Chaos? Jedenfalls kann einem da der Kopf schwirren.

Ein Ende der Testerei ist bis auf weiteres allerdings nicht in Sicht. Auch wenn laut Stufenplan des Bildungsressorts in jenen Bundesländern mit einer Inzidenz unter 100 nicht weiter getestet werden muss: Im Burgenland etwa, das derzeit genau in diese Kategorie fällt, bleibt man jetzt doch dabei. Getestet werden nach dem Ende der dreiwöchigen Sicherheitsphase allerdings nur noch jene Jugendlichen und Lehrkräfte, die noch nicht geimpft sind. Immerhin dieser Plan steht.

Lockern und verwirren

Und dann gibt es noch das Paradoxon von weiterhin hohen Infektionszahlen bei den Jungen, kombiniert mit weniger Quarantänebescheiden. In Wien entfielen mit Stand Montag gleich 45 Prozent der positiven Corona-Fälle auf unter 20-Jährige. Gleichzeitig ist die Zahl der Schulklassen in Quarantäne seit dem Spontanwechsel zur Fünftagesfrist deutlich zurückgegangen: Aus 606, knapp nach Schulbeginn, wurden 173 gegen Ende dieser Woche. "Fast eine intellektuelle Beleidigung" nannte das der Mikrobiologe Michael Wagner vor kurzem in einer TV-Diskussion.

Ob es diese Doppelbotschaften sind, die viele Menschen ratlos bis frustriert zurücklassen? Die zur diffusen Umschreibung "Chaos" verleiten? Ein letztes Beispiel dreht sich um geimpfte Lehrkräfte. Tatsächlich stechen die Pädagoginnen und Pädagogen in Sachen Covid-Immunisierung positiv heraus – 82 Prozent sind bereits zweifach geimpft.

Allerdings: Unter Volksschullehrkräften ist der Anteil der nicht geimpften Personen mit 33 Prozent am höchsten. Der Bildungsminister setzt trotzdem weiter auf Freiwilligkeit und gibt die Devise aus: "Ungeimpfte Lehrkräfte in der Volksschule sind ja ein seltenes Ereignis."

Ist das so? Wenn in jeder dritten Volksschulklasse eine ungeimpfte Lehrperson steht? Der Begriff "Chaos" passt in diesem Zusammenhang tatsächlich nicht. Vielleicht eignet sich "Verwirrung" besser. (Karin Riss, Walter Müller, 25.9.2021)