Ein König (Bernhard Schir) bäumt sich noch einmal auf, bevor es ans Sterben geht.

Philine Hofmann

Sterben müssen wir alle. Aber er hier will nicht: Der Titelheld in Eugène Ionescos absurdem Theaterstück mit dem Spoiler-Titel Der König stirbt (1962) hat dafür kein Verständnis. Über vierhundert Jahre hat er schon geschafft, warum sollte jetzt Schluss sein? Unter einem funkelnden Nachthimmel (denn die Sonne gehorcht in diesem Reich nicht mehr) versucht der Hofstaat dem alten weißen König klar zu machen, dass der Lebenscountdown alsbald in die Zielgerade biegt.

Knappe zwei Stunden sind es, die dem in den Kammerspielen der Josefstadt in leicht verranzte Purpur- und Hermelinhüllen gewickelten König (Bernhard Schir) bleiben. Einer wie er kann sich beileibe nicht vorstellen, abtreten zu müssen: Schließlich hat er einmal Sonne und Regen befehligt sowie ein Königreich von neun Milliarden Untertanen, er hat zudem an der "Odyssee" und der "Ilias" mitgeschrieben, auch die Kernspaltung entdeckt, und man munkelt, er solle in Wahrheit gar Shakespeare selbst sein!

Mitleid mit dem Alten

Da kann man schon einmal sehr selbstsicher werden! Auch wenn aus diesem Staate inzwischen alle ausgewandert und sämtliche Minister beim Fischen im Bach ertrunken sind, klammert sich der König an sein goldenes Szepter. Claus Peymann wirbt in dieser durch und durch märchenhaften Inszenierung für Mitleid mit dem Alten, der so gerne unbehelligt weitermachen möchte, während die Zeit aus den Fugen geraten ist und ringsum alles einstürzt.

Und es gelingt: Dieser von Schir mit traumwandlerischer Wackeligkeit gespielte Regent tut einem leid. In siecher Gangart erklimmt er seinen Thron, trapst mit schwindender Befehlskraft durch den Thronsaal und verteufelt dann voller Wut den von Julchen (Johanna Mahaffy) gutmeinend herbeigeschafften Toilettenstuhl. Schir hat alle Tonarten drauf, ohne sie zu strapazieren. Eine bemerkenswerte Darstellung.

Mathematisches Wunder

Es schlägt also die Märchenstunde in dieser von – nota bene – Achim Freyer ausgestatteten Inszenierung. Ihm gelingt das mathematische Kunststück, in die kleine Kammerspielbühne einen Thronsaal einzurichten, der mit Rissen und bröckeligen Mauern hoch hinauf in den Schnürboden ragt. Projektionen, die beispielsweise Erdbeben imaginieren, verrichten das Ihre.

Spinnweben wachsen über das Bühnenportal hinaus, eine ferngesteuerte Ratte mit rotglühenden Augen macht dem Wächter in scheppernder Rüstung (Marcus Bluhm) zu schaffen. Die kindertaugliche Märchenfassung ist einerseits schön anzuschauen, Peymann neutralisiert damit aber den absurden Charakter des Textes, denn im Märchen ist schließlich alles möglich. Mit weißer Schminke und figurinenhaftem Spiel lassen sich Tod und schnuckelige Herrscher besser verkraften. Besonders wenn sie ein klein wenig Gothic Horror verströmen:

Lore Stefanek als Margarete doziert unter dem schon ungeduldig getragenen Trauerflor Weisheiten vom Königsamt, die zweite Gemahlin (Maria Köstlinger) – ebenfalls im Panier-Reifrock – umtänzelt puppengleich ihren sterbenden Geliebten. Ein todbringender Wink aus der Hölle ist der Arzt und Sternenforscher in Gestalt Johannes Krischs: selbst seine Todesfeststellung gerät zur Fehldiagnose.

Der verspielte Abend wurde bei der Premiere am Samstag mit Beifallsstürmen quittiert, und man konnte den Eindruck gewinnen, Peymann habe in Wien ein neues künstlerisches Zuhause gefunden. (Margarete Affenzeller, 26.9.2021)