Fortissimo und leise Töne: Rodrigo Porras Garulo und Erica Eloff.

Barbara Pálffy

Der Mensch sehnt sich nach Wärme, deswegen trinkt er Rotwein, geht zwischenmenschliche Beziehungen ein und fürchtet Monate mit "r". Sehr kalt haben es bekanntermaßen die Protagonisten in Puccinis La Bohème: Die Stichworte lauten Winter, null Kohle, prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse. Am Landestheater Linz haust die vierblättrige Künstler-WG in einem engen Container (Bühne: Sabine Mäder). Ein (schmaler) Kameramann muss da auch noch mit hineinpassen: Warum nur? Um so ein bisschen auf Frank Castorf zu machen? Der lässt aber klugerweise meistens das filmen, was die Zuschauer sonst nicht sehen würden. Eine unnötige, sinnbefreite Aktion, die aber – Regiegott sei Dank – ausschließlich im ersten Bild ihre störende Wirkung entfaltet.

Apropos Inszenierung: Die hat Georg Schmiedleitner sechs Tage vor Beginn der Proben anstelle von Mizgin Bilmen übernommen, die krankheitsbedingt absagen musste.

Das Momus-Bild gerät dann deutlich gewinnender und schwingt sich mit dem Auftritt der Musetta sogar in grenzgeniale Sphären empor. Zuallererst, weil mit Ilona Revolskaya ein roter Engel mit teuflischer Spielfreude ein überdrehtes, überhebliches Ding gibt (sehr zum Leidwesen von Reinhard Mayrs Alcindoro, bei dem die Nerven schon sichtlich blank liegen). Um die Muse Musetta herum arrangiert Schmiedleitner den so luxuriös wie fantasievoll adjustierten Chor (Kostüme: Martina Lebert) zu einem lebenden Fächer der exaltierten Komik: magnifique!

Durchsetzungsfähig

Revolskaya singt auch auf famose Weise geschmeidig und wendig, wenn auch der Sopran der Russin für die Musetta fast zu leicht ist. So durchsetzungsfähig wie ihr (in dieser Inszenierung) ungewöhnlich selbstbewusstes Rollenprofil zeigt sich auch der Sopran von Erica Eloff – speziell in der Spitze. Doch der Zauber der lungenkranken Mimì nährt sich auch von sanften Tönen. Alles Leise bekommt die Südafrikanerin wundervoll hin, speziell im letzten Bild. Musste Anna Netrebko 2012 in Salzburg auf einer durchgebogenen Matratze ihrem Ende entgegensingen, so tut das Eloff auf einer Plastikliege, vor einem sich senkenden Rundhorizont.

Rodrigo Porras Garulo hingegen scheut als Rodolfo alles Leise, sein bevorzugter, überfrequentierter Aufenthaltsbereich dynamischer Art ist das Fortissimo. Und da klingt der Tenor des jungen Mexikaners auch gefällig – wenn er auch auf ruinöse Art mit zu viel Druck arbeitet. Sein schlieriges, gaumiges Piano ist leider nicht viel mehr als ein timbretechnisches Behelfswerkzeug. Und speziell vor der Pause nötigt der Gast den Chefdirigenten Markus Poschner ob seines enorm pressanten Singverhaltens zu großer Reaktionsschnelligkeit.

Sentiment ohne Schmalz

Auch neben Porras Garulo dominiert bei den männlichen Solisten leider der aufgepumpte, dröhnende Kraft(lackel)gesang: Sei es bei Adam Kim (als Marcello), Martin Achrainer (als Schaunard) oder Dominik Nekel (als Colline). Da agiert das Bruckner Orchester Linz unter der Leitung ihres Chefs deutlich feinfühliger und bietet feinstes Puccini-Sentiment ohne Schmalz.

Das Publikum im Landestheater Linz (das die Bitte des Hauses, Mund-Nasen-Schutz zu tragen, größtenteils ignoriert) befindet Musiker und Regieteam am Samstagabend stehend als ausnahmslos großartig; Intendant Hermann Schneider und sein Musikchef Markus Poschner starten also mit Rückenwind in ihre sechste Spielzeit, die im Opernbereich neben einer Aida auch einen neuen Parsifal im März bringen wird sowie eine Uraufführung von Michael Obst, Unter dem Gletscher. Da könnte es dann auch wieder frostig werden. (Stefan Ender, 27.9.2021)