Als der Grazer ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl an jenem strahlend blauen Spätsommertag des 5. September sein Leibblatt, die Kleine Zeitung, aufschlug, war für ihn der Tag schon verhagelt. Die Grazer Tageszeitung veröffentlichte eine Umfrage, wonach Nagl in der Sympathieskala von seiner Lieblingsfeindin überholt worden war. KPÖ-Chefin Elke Kahr war zu diesem Zeitpunkt bereits beliebter als der Langzeitbürgermeister.

KPÖ-Chefin Elke Kahr fühlt sich keiner Lobby außer der Bevölkerung verpflichtet.
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Er hätte es wahrnehmen müssen. Kahr hatte sich all die Jahre ohne viel Aufsehens als Menschensammlerin betätigt. Sie war immer erreichbar – sogar ihre Handynummer war allgemein zugänglich – und betonte stets, sie fühle sich keiner Lobby außer der Bevölkerung verpflichtet. Das kam gut an.

Auch alteingesessene ÖVP-Anhänger fanden Gefallen an der uneitlen Kommunistin, von ihr kamen nie großspurigen Ansagen wie von Nagl. Dieser pulverte hunderttausende Euros in die Planung von Luftschlössern: die Murgondel, die Plabutschgondel, die Olympiabewerbung, eine spektakuläre Tiefgarage mitten in der City und zuletzt die U-Bahn, die eigentlich keiner wollte. Nagl brachte all diese Ideen nie auf den Boden. Hingegen sah er sich zusehends harter Kritik wegen des Wildwuchses an Investorenbauprojekten konfrontiert.

In den letzten Tagen vor der Wahl war in der ÖVP helle Panik ausgebrochen. Interne Umfragen ergaben: Da kommt in Graz etwas Großes in Bewegung. Man wusste jetzt, die KPÖ mit Elke Kahr war auf Augenhöhe gekommen. Da kündigte sich tatsächlich eine rote Revolution in Graz an.

Siegfried Nagl hat die Veränderungen in der Gesellschaft, den dringenden Wunsch nach mehr Lebensqualität in der Stadt nicht realisiert. Der Langzeitbürgermeister musste jetzt erkennen: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Daran führt jetzt kein Weg vorbei. (Walter Müller, 26.9.2021)

Für die stellvertretende Chefredakteurin ist der KPÖ-Sieg eine kleine Sensation. Der Fokus auf das Thema Wohnen war die gewinnbringende Strategie für KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr.
DER STANDARD