Sebastian Kurz vor seiner ersten Befragung im U-Ausschuss im Juni 2020. Rückblickend würde er nicht mehr so schnell antworten und "jedes Wort auf die Waagschale legen".

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"Extrem unangenehm" sei es für ihn im U-Ausschuss gewesen, beklagte sich Sebastian Kurz bei seiner Einvernahme am 3. September. Man sitze dort mit "lauter Leuten, die einem gegenüber feindselig sind", die Widersprüche und Fehler suchen würden. Allein der frühere Kurier -Herausgeber und Neos-Abgeordneter Helmut Brandstätter löse bei Kurz starke Reaktionen aus: "Wenn ich den nur sehe, kriege ich schon innerlich – ich will das jetzt nicht aussprechen, weil das wird öffentlich protokolliert." Jede dritte Frage, die dieser gestellt habe, sei "unterstellend", behauptete Kurz als Beschuldigter.

Als man bei der Einvernahme, die von einem Haft- und Rechtsschutzrichter am Landesgericht Wien durchgeführt wurde, beim Kernvorwurf der Falschaussage im U-Ausschuss angelangt war, waren schon einige Stunden vergangen. Begonnen hatte der junge Richter mit anderen Themen, und Kurz selbst hatte eine einleitende Stellungnahme abgegeben.

In dieser hat der Kanzler unter anderem seinen offenbar hektischen Arbeitsalltag beschrieben: Hunderte Nachrichten schreibe beziehungsweise bekomme er jeden Tag, "im Normalfall – wenn ich nicht da bei Ihnen sein darf – habe ich zumindest zehn Termine pro Tag". Kurzum: Er habe einen "Overflow an Information". Zudem merkte der beschuldigte Kanzler an, damals, "im Mittelpunkt einer Pandemie", habe er nicht viel Zeit für die Vorbereitung auf seine Befragung gehabt.

Grundsätzlich sei er "selbstverständlich mit dem Vorsatz hingegangen, die Wahrheit zu sagen, weil alles andere absurd wäre". Bei seiner ersten Befragung am 25. Juni 2020 habe er aber vielleicht den Fehler gemacht "dass ich da oft einfach sehr schnell geantwortet habe".

Die Grundemotion

Einer der Kernsätze, um die es bei den Vorwürfen geht, dreht sich um die Frage, wann Sebastian Kurz davon erfahren hat, dass der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, selbst Chef der Staatsholding Öbag werden wolle. Neos-Abgeordneter Brandstätter fragte in diesem Zusammenhang, ob Schmid "bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Ihnen gesagt hat: Ich möchte mich für diesen ausgeschrieben Posten bewerben, nie" mit Kurz darüber gesprochen habe, dass er das werden könnte. Kurz antwortete laut Protokoll: "Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert (...)."

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) legte das als Verneinung von Kurz aus. Er selbst argumentiert völlig anders. Er habe "na, es war ja allgemein bekannt (...)" gesagt – das wollte er auch im U-Ausschuss-Protokoll so berichtigt haben, diese Korrektur wurde aber abgelehnt.

In "Schachtelsatz" befragt

Vor dem Richter kritisierte Kurz, dass ihn Brandstätter mit einem "Schachtelsatz" befragt habe, der eine "Unterstellung beinhaltet". Zudem gab er Einblick in seine Gemütsverfassung: "Wenn ich vom Brandstätter etwas höre, nehme ich immer eine generell ablehnende Haltung ein. Also wenn ich da ‚na‘ sage, dann kann das sozusagen aus meiner Grundemotion schon nie zustimmend zu ihm sein."

Wie man es auch sehe, es "bleibt ja immer noch über, dass ich oben die Wahrheit gesagt habe", fasste Kurz seine Sicht zusammen.

Beim zweiten und dritten Vorwurf geht es darum, ob Kurz in die Personalentscheidungen bei der Öbag eingebunden gewesen sei. Auf die Frage von Kai Jan Krainer (SPÖ), ob er im Vorfeld bei der Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand "eingebunden" gewesen sei, sagte Kurz im U-Ausschuss: "Eingebunden im Sinne von informiert, ja." Und auch zur Frage nach der Bestellung der Öbag-Aufsichtsratsmitglieder sagte Kurz, er sei "eingebunden", gewesen, aber dass die Entscheidung der damalige Finanzminister Hartwig Löger getroffen habe.

Zum Thema Schmid-Bestellung sagt er in seiner Beschuldigteneinvernahme, dass er nicht wisse, was er anderes hätte antworten sollen. Denn er habe "nur den Wissensstand gehabt (...), dass die Aufsichtsratssitzung jetzt stattfindet (...)". Schließlich sei er selbst kein Aufsichtsrat und habe nicht mit den Aufsichtsräten telefoniert "und gesagt: ‚Bestellts den Schmid‘".

Nicht entschieden

Bei der Aufsichtsratsbestellung sei er eingebunden gewesen, es sei aber auch richtig, dass er es nicht entschieden habe, denn: "Sonst würde der Aufsichtsrat auch anders ausschauen." Kurz verwies bei diesem Themenkomplex immer wieder darauf, dass er selbst gern den Industriellen Siegfried Wolf als Aufsichtsratsvorsitzenden gesehen hätte und auch den ehemaligen deutschen Minister Theodor zu Guttenberg vorgeschlagen habe.

Beim letzten Vorwurf geht es um die sogenannten Sideletter zwischen den damaligen Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ rund um Personalentscheidungen. Auch da fragte Brandstätter: Er legte Kurz im U-Ausschuss eine SMS zwischen dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Löger vor, in dem von einer Vereinbarung zwischen den Verhandlern Thomas Schmid und Arnold Schiefer die Rede war. Kurz antwortete: "Ich habe keine Ahnung, was die vereinbart haben."

Zum einen kritisierte Kurz, dass man ihm im U-Ausschuss diese Vereinbarung nicht vorgelegt habe, zum anderen, dass die SMS von Dritten stamme. Im U-Ausschuss sagte Kurz, er habe diese SMS weder erhalten noch geschrieben und dass das "alles sein kann".

"Im Ernst?"

Vor dem Richter argumentierte der Kanzler so: Er habe ja nicht in Zweifel gezogen, "dass die etwas vereinbaren"; er habe nur nicht erahnen können, von was "die jetzt genau reden". Kurz weiter: "Sie sind nicht Teil der Vereinbarung, Sie haben die Vereinbarung auch nicht getroffen und dann sagt wer zu Ihnen; ‚Was ist das für eine Vereinbarung?‘ Und Sie sagen: ‚Keine Ahnung, das kann alles sein‘, das ist dann eine Falschaussage? Ich meine im Ernst?"

Letztlich wollte der Richter noch vom Beschuldigten wissen, ob er "aus heutiger Sicht irgendetwas anders machen würde" beim U-Ausschuss? Kurz bejahte: Er würde sich "erstens besser vorbereiten" und "zweitens nicht schnell und ehrlich versuchen (...), frei von der Leber weg" Fragen zu beantworten, sondern er würde sich "endlos lang mit meinem Rechtsanwalt beraten" und "jedes Wort auf die Waagschale legen". Das habe er dann auch bei seiner zweiten Befragung gemacht. (Renate Graber, Fabian Schmid, 27.9.2021)