Foto: AFP / John MacDougall

"Wer eine Klimaregierung will, sollte heute Grün wählen" – das twitterte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Sonntag noch. Doch dann wollten das weniger, als die deutsche Ökopartei gehofft hatte, was am Wahlabend zu einem Paradoxon führte: Die Grünen konnten sich über satte Zugewinne freuen. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 gab es also Grund zum Jubeln. Doch angesichts der Höhenflüge, die die Grünen im Umfragen schon erreicht hatten, blieb das Ergebnis weit hinter den selbst gesetzten Erwartungen.

"Wir wollten mehr, das haben wir nicht erreicht", räumte Baerbock am Abend ein. Sie benannte auch, warum es nicht geklappt hat: "Aufgrund eigener Fehler von mir." Doch sie versuchte auch Optimismus zu verbreiten und betonte: "Diesmal hat es noch nicht gereicht" – womit der Einzug ins Kanzleramt gemeint war.

Baerbock war ja angetreten, um Historisches zu schaffen: als erste Grüne ins Kanzleramt einzuziehen. Und eine Zeitlang war der Traum tatsächlich nicht unrealistisch gewesen. Als Baerbock im Frühjahr nominiert wurde, brach ein Hype aus. In Umfragen kletterten die Grünen auf Platz eins.

Hausgemachte Fehler

Doch dann kam der Absturz, und er war vor allem hausgemacht. Die 41-Jährige musste Nebeneinkommen beim Bundestag nachmelden, immer wieder wurde ihr Lebenslauf korrigiert und klang danach nicht mehr ganz so gut und glänzend.

Besonders kritisiert wurde ihr Buch, dass sie noch vor der Nominierung – aber schon mit Blick auf diese – hatte geschrieben, um mit ihrem grünen Co-Chef Robert Habeck ein bisschen mitzuhalten. Er hat ja schon mehrere Bücher veröffentlicht. Es stellte sich jedoch heraus, dass Baerbock weite Passagen abgeschrieben hatte, ohne die Quellen zu nennen. Die Kritik war laut, und Baerbock wurde dünnhäutig. Bei Interviews und bei Wahlkampfauftritten merkte man ihr an: Sie hatte Angst vor dem nächsten Fehler. Jeden Tag musste sie Stellung beziehen und erklären, dass sie sich über ihre eigenen Fehler "tierisch" ärgere.

Es lief allerdings auch inhaltlich nicht so glatt. Die Grünen möchten CO2 deutlich höher besteuern als SPD und Union, aber einen sozialen Ausgleich schaffen. Dafür sollen alle Bürgerinnen und Bürger ein "Energiegeld" in Höhe von 75 Euro pro Jahr erhalten. Aber die Grünen schafften es nicht, dieses Vorhaben leicht verständlich zu erklären.

Zu wenig Kompetenz

Nico Siegel, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap, sagt: "Viele, übrigens nicht nur junge Menschen, zweifeln die Kompetenz der Grünen bei Umweltpolitik und Klimaschutz nicht an – aber in anderen Politikbereichen ist das Zutrauen oftmals eher gering ausgeprägt."

Habeck, der gerne selbst als Kanzlerkandidat angetreten wäre, brachte schließlich den tiefen innerparteilichen Frust zur Sprache. "Irgendwas war nicht richtig an diesem Wahlkampf", sagte er schon vor einer Woche beim grünen Parteitag. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die deutsche Politik mehr für den Klimaschutz tun müsse, hätte man einen konstruktiven Wettstreit um die besten Strategien führen müssen. "Doch", so Habeck, "wir sind stecken geblieben in dämlichen und dummen Debatten."

Doch nun lautet die Frage: Wo gehen die Grünen hin? Sie können in eine Ampel (SPD Grüne, FDP) oder nach Jamaika (Union, Grüne, FDP). In den nächsten Tagen werden sie wohl von beiden Seiten stark umworben werden. Doch die Antworten darauf wird jetzt wohl sehr viel stärker der verhinderte Kanzlerkandidat Robert Habeck geben, weniger Annalena Baerbock.

Schlusspunkt eines eher verpatzten Wahlkampfs: Spitzenkandidatin Annalena Baerbock und ihr Co-Parteichef Robert Habeck feierten am Abend etwas verhalten. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.9.2021)

DER STANDARD