Stille, absolute Stille. Es war nichts zu hören in der CDU-Zentrale, als am Sonntag um 18 Uhr die ersten Prognosen verkündet wurden. Und das Schweigen hielt auch noch an, als dann vom historisch schlechtesten Wahlergebnis die Rede war. Erst als verkündet wurde, dass es so aussieht, als reiche es nicht für ein rot-rot-grünes Bündnis – also ein linkes ohne Union –, da brach Applaus los.

Dennoch war CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sofort zur Stelle und räumte ein: "Das tut weh." Doch er erklärte auch: "Das wird ein langer Wahlabend sein." Er fand auch etwas Positives im schlechten Wahlergebnis: "Man kann sehen, dass wir eine Aufholjagd hingelegt haben." Und er meinte auch, es gehe jetzt darum, eine "Zukunftskoalition aus Union, Grünen und FDP" zu bilden.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz konnte nach den ersten Hochrechnungen aufatmen. "Das ist ein großer Erfolg, sagte er am Abend in Berlin. Die Wählerinnen und Wähler hätten deutlich gemacht, dass der nächste Kanzler Olaf Scholz heißen solle.
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Auch CSU-Generalsekretär Markus Blume stieß wenig später in München in äußerst gedämpfter Laune ins selbe Horn. Es gelte jetzt, eine "bürgerliche Regierung" zu bilden; damit spielte er natürlich auch auf ein Jamaika-Bündnis aus Union (schwarz), Grünen und FDP (gelb) an.

Dann ließ sich aber bald auch Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet blicken. Als er auf die Bühne stieg, war doch lauter Applaus vernehmbar. Wirklich herzlich und sehr eindringlich wurde er, als Laschet der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel dankte, die ebenfalls ins Konrad-Adenauer-Haus gekommen war.

"Das waren 16 gute Jahre für Deutschland", streute Laschet ihr Rosen, und Merkel wirkte hinter ihrer blauen Gesichtsmaske nicht ungerührt. Doch dann musste sich Laschet doch dem schlechten Wahlergebnis widmen. "Mit dem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein", sagte er.

Eine Zukunftskoalition

Das Ergebnis stelle "die Union vor große Herausforderungen". Laschet: "Es bedarf jetzt einer großen Anstrengung aller Demokratinnen und Demokraten." Für den CDU-Chef ist aber eines klar: Man werde "alles daran setzen", um eine Regierung "unter Führung der Union" zu bilden. Denn Deutschland brauche jetzt "eine Zukunftskoalition, die unser Land modernisiert".

Nach Berlin war auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gekommen. Kaum war eine Kamera auf ihn gerichtet, da lautete die Frage an ihn schon, ob es mit ihm als Kanzlerkandidaten besser gelaufen wäre. Seine Antwort: "Das ist Schnee von gestern und bringt uns in dieser schwierigen Situation gar nichts." Dann fügte er noch hinzu: "Ich habe großen Respekt vor Armin Laschet."

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Armin Laschet erreichte am Sonntag das historisch schlechteste Ergebnis seiner Partei. Trotzdem übertraf er die Erwartungen. Angela Merkel schaute zu.
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Ganz anders war die Stimmung bei den Sozialdemokraten im Willy-Brandt-Haus. Der Stein, der so mancher Genossin und manchem Genossen vom Herzen gefallen sein muss, dürfte in seiner Dimension einem mittleren Gebirgsstock nahekommen.

Als Generalsekretär Lars Klingbeil auf die Bühne kam, war der Jubel so laut, dass man Klingbeil zunächst gar nicht verstehen konnte. Doch was er dann forderte, drang zu jedem der Genossen und Genossinnen durch: Olaf Scholz soll Kanzler werden. "Es ist ein grandioser Erfolg der SPD!", frohlockte kurz darauf Arbeitsminister Hubertus Heil, der auch einmal Generalsekretär gewesen war.

Erinnerung an Schröder

Schon eine Stunde vorher hatte sich abgezeichnet, was vor einem Jahr noch nicht einmal der treueste Genosse für möglich gehalten hätte: Zum ersten Mal seit 2005 wurde die SPD wieder als stärkste Kraft zwischen Watzmann und Wattenmeer gehandelt. Auch freute man sich über das regionale Abschneiden der SPD in Mecklenburg-Vorpommern und in der Hauptstadt Berlin.

Die Union, die in Person von Angela Merkel 16 Jahre lang Deutschland regierte, ist aus Sicht der Sozialdemokraten geschlagen. Was zu Beginn des Jahrtausends, als die SPD mit Gerhard Schröder zuletzt den Kanzler stellte, noch als blamables Ergebnis gegolten hätte, reicht für Scholz heute, 16 Jahre später, wohl für Platz eins, aber gefühlt am Wahlabend schon für einen Sieg.

Als Scholz auf die Bühne kam, war der Jubel gewaltig. "Olaf! Olaf!", schallte es immer wieder aus der Menge, Scholz wurde gefeiert wie ein Rockstar. "Viele Bürgerinnen und Bürger haben ihr Kreuz bei der SPD gemacht, weil sie einen Wechsel wollen und weil sie wollen, dass der nächste Kanzler dieses Landes Olaf Scholz heißt", sagte der sichtlich zufriedene derzeitige Vizekanzler. Und er fügte auch noch hinzu: "Die Balken für die SPD zeigen nach oben." Bei anderen zeigten sie hingegen nach unten, so Scholz.

Das Tal der Tränen, das die älteste deutsche Partei schon seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten durchwandert – an diesem lauen Herbstabend scheint es ganz weit weg. Vier Bundestagswahlen hintereinander waren zuvor für die Roten verloren gegangen – jedes Mal ging Angela Merkel als Siegerin hervor. 2005 trat noch Schröder selbst an, 2009 versuchte es Frank-Walter Steinmeier, 2013 Peer Steinbrück, und 2017 schließlich scheiterte Martin Schulz an Merkel.

Ob sich nun Olaf Scholz weitere vier Jahre später tatsächlich auf dem Gipfel wiederfindet – im Bundeskanzleramt nämlich –, ist indes unklar. Zu groß gestaltete sich am Sonntag noch die Bandbreite an möglichen Koalitionen. Und längst nicht alle würden sich mit einem SPD-Kanzler abfinden. Allzu viele Gedanken daran werden an diesem Abend in der festlich geschmückten SPD-Zentrale aber wohl nicht verschwendet.

Trotz starker Zuwächse lagen die Grünen, die im Frühjahr in Umfragen noch geführt hatten, abgeschlagen auf dem dritten Platz. Spitzenkandidatin Annalena Baerbock zeigte sich enttäuscht und gestand Fehler ein, betonte aber ihre Bereitschaft mitzuregieren. Die FDP legte zu und kam erneut auf über zehn Prozent. Ihr Chef Christian Lindner machte seine Präferenz für ein Bündnis mit der Union deutlich, schloss aber eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen nicht aus. Er kündigte an, Vorabgespräche mit den Grünen führen zu wollen. Die rechtspopulistische AfD verlor ein wenig, die Linke massiv. Sie musste am Abend um den Einzug in den Bundestag zittern, dieser schien wegen dreier gewonnener Direktmandate aber wahrscheinlich.

Panne bei Laschet

Für Laschet hatte der Wahltag mit einer Panne begonnen. Er war in seiner Heimatstadt Aachen wählen gegangen und posierte dann beim Einwurf seines Wahlzettels für die Foto grafen. Man konnte sich natürlich vorstellen, wem Laschet seine Stimme geben würde: sich selbst und der CDU.

Doch dies wurde dann auch dokumentarisch festgehalten: Laschet nämlich faltete den Stimmzettel falsch. So, dass man sehen konnte, wie er seine Wahl getroffen hatte. Ein Lapsus, denn eigentlich ist die Wahl in Deutschland geheim. Im Paragraf 56 der Bundeswahlordnung steht in 2. Absatz: "Der Wähler begibt sich in die Wahlkabine, kennzeichnet dort seinen Stimmzettel und faltet ihn dort in der Weise, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist."

Armin Laschet wählte sich selbst und CDU, und er zeigte das auch.
Foto: AFP / Thilo Schmuelgen

Böse Zungen lästerten daraufhin, dass dies jetzt irgendwie typisch sei – ein weiterer Fehler in einer langen Kette von Schwierigkeiten auf dem Weg Richtung Bundeskanzleramt.

Viele Machtkämpfe

Laschet musste ja zunächst einmal CDU-Chef werden und schon da kämpfen. Denn der ehemalige Umweltminister Norbert Röttgen und Ex-Unions-Fraktionschef Friedrich Merz hatten das gleiche Ziel. Laschet setzte sich knapp durch, das kostete ihn bereits einige Kraft.

Kaum hatte er den CDU-Vorsitz in der Tasche, wartete schon der nächste Machtkampf auf ihn: Der CSU-Vorsitzende Markus Söder meldete seinen Anspruch auf die gemeinsame Unionskanzlerkandidatur an. Laschet lieferte sich mit dem Bayern einen erbitterten Machtkampf und hatte letztendlich die besseren Nerven.

Doch dann kam seine Wahlkampagne nicht in Schwung. Das Wahlprogramm wurde spät präsentiert und von vielen als zu vage und nicht besonders ambitioniert eingestuft. "Laschet ist eigentlich ein Teamplayer, ein Team zusammenzuhalten, das ist seine große Stärke – ich wundere mich, dass das im Wahlkampf nicht stärker herausgestellt wurde", sagt sein Biograf Tobias Blasius zum STANDARD.

Zwar präsentierte Laschet eine Mannschaft – aber das geschah sehr spät, als er schon gewaltig unter Druck war. Und auch erst da war Kanzlerin Merkel bereit, für ihn in die Bresche zu springen: Sie trat wenige Tage vor der Wahl mit ihm in ihrem Wahlkreis Mecklenburg-Vorpommern auf.

Am Samstag, nur einen Tag vor der Wahl, erschien Merkel mit Laschet noch in dessen Heimatstadt Aachen. "Es geht morgen darum, dass Deutschland stabil bleibt, deshalb beide Stimmen für die CDU", sagte Merkel bei diesem letzten gemeinsamen Wahlkampfauftritt zusammen mit Laschet. Und Laschet wies darauf hin, dass Merkel auch 2017, einen Tag vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, noch für ihn geworben habe. Dann sei er Ministerpräsident geworden. (Birgit Baumann und Florian Niederndorfer aus Berlin, 26.9.2021)