Es gibt sie nach wie vor, die Corona-Verharmloser in der Ärzteschaft: Andreas Sönnichsen, weiterhin Professor an der Med-Uni Wien, resümierte erst unlängst die epidemiologischen Folgen von Covid-19 in einer Diskussion für Servus TV wie folgt (ab Minute 45:00): "Es sind ganz wenige, die durch diese Pandemie bis jetzt zu Schaden gekommen sind. Wenn man sich die Übersterblichkeitskurven ansieht, dann wissen wir jetzt: Wir liegen völlig im normalen Rahmen der Influenza-Wellen. Es ist nichts Besonderes."

Welche Zahlen und welche konkreten Übersterblichkeitskurven für welche Länder Sönnichsen da im Auge hatte, geht aus dem Interview nicht hervor. Kein Widerspruch kam jedenfalls vonseiten der anwesenden Mitdiskutanten, darunter Christian Schubert, Professor an der Med-Uni Innsbruck, oder Sachbuchautor und Corona-Impfkritiker Clemens Arvay.

Faktum ist, dass die offiziellen Statistiken bis jetzt rund 4,76 Millionen Toten weltweit durch die Corona-Pandemie ausweisen. Vermutlich sind die tatsächlichen Zahlen allerdings mehr als dreimal so hoch, wie die angesehene Wochenzeitschrift "The Economist" mit ihrem Datenteam vor kurzem errechnete.

Auswirkungen auf die Lebenserwartung

Eine andere, etwas kompliziertere Möglichkeit ist die Berechnung, wie stark sich durch Covid-19 die Lebenserwartung veränderte – also jenes Alter, das ein durchschnittliches Neugeborenes erreicht, wenn sich die Todeszahlen weiter so entwickeln wie zum Zeitpunkt seiner Geburt. Für 2020 vermeldete das EU-Statistikamt Eurostat bereits im April 2021, dass die meisten EU-Staaten einen Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung, verzeichneten. In Österreich sank diese laut Eurostat im Vergleich zu 2019 um 0,7 Jahre (von 82,0 auf 81,3 Jahre).

Die stärksten Rückgänge vermdeldeten in dieser Auflistung Spanien (minus 1,6 Jahre), gefolgt von Bulgarien (minus 1,5) sowie Litauen, Polen und Rumänien (jeweils minus 1,4). Aber etwa auch in Belgien und Italien (jeweils minus 1,2) ging die durchschnittliche Lebenserwartung stärker als in Österreich zurück, wo 2020 laut Statistik Austria 91.599 Todesfälle verzeichnet wurden, jeweils rund 8.000 mehr als in den drei Jahren zuvor. Mehr Tote gab es zuletzt 1983.

Europäische Länder im Vergleich

Ein Forscherteam um José Manuel Aburto (Leverhulme Centre for Demographic Science der Universität Oxford) hat die Veränderungen der Lebenserwartungen nun noch einmal für die Jahre 2015 bis 2020 durchgerechnet, und zwar sowohl für Neugeborene wie auch für Männer und Frauen, die 60 Jahre alt sind. Für die Studie, die im "International Journal of Epidemiology" erschien, untersuchten die Forschenden Daten aus 27 europäischen Staaten, darunter auch Österreich und Deutschland. Analysiert wurden zum Vergleich aber auch die Daten aus den USA und aus Chile.

Lebenserwartung in Jahren für Neugeborene (links) und 60-Jährige (rechts). Blaue Symbole stehen für Männer, rote für Frauen. Das Symbol + gibt die Lebenswartung für das Jahr 2019 an, o steht für das Jahr 2020 und | für das Jahr 2015. Eine interaktive Version dieser Grafik mit den genauen Zahlen gibt es hier.

In 27 der untersuchten Länder sank 2020 die Lebenserwartung. Die größten Verluste in der Lebenserwartung bei der Geburt verzeichneten im Jahr 2020 die Männer in den USA und in Litauen (2,2 bzw. 1,7 Jahre). In den USA sind dabei besonders große Unterschiede nach den verschiedenen Populationen zu beobachten. Die ohnehin schon vergleichsweise geringe Lebenserwartung der Afroamerikaner sank durch die Pandemie weiter stark, wie eine andere Untersuchung bereits Anfang 2021 zeigte:

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Grafik: AP

Rückgänge von mehr als einem ganzen Jahr wurden in der neuen Studie für Männer in elf Ländern und für Frauen in acht Ländern dokumentiert. Frauen aus 15 Ländern und Männer aus zehn Ländern hatten im Jahr 2020 eine niedrigere Lebenserwartung bei der Geburt als im Jahr 2015. Die Rückgänge waren hauptsächlich auf eine erhöhte Sterblichkeit der über 60-Jährigen, basierend auf den Zahlen der offiziellen Covid-19-Todesfälle, zurückzuführen.

Stärkster jährlicher Rückgang seit 1945

Was bedeuten die Ergebnisse im historischen Vergleich? In Osteuropa verschlechterte sich die Lebenserwartung ähnlich wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1989. In vielen westeuropäischen Ländern – darunter Spanien, Italien, Belgien, England oder Wales – sank die Lebenserwartung 2020 so stark wie in keinem anderem Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg. (Klaus Taschwer, 27.9.2021)