Der Genfer See ist verdammt gut darin, sich als Meer auszugeben. Das liegt nicht nur an seiner schieren Größe, sondern vor allem am ausgeprägten Wellengang, der die Wassermassen unter anderem an die Bains des Pâquis schlagen lässt. Nur der Salzgeruch in der Luft fehlt.

Der McLaren GT ist verdammt gut darin, sich als herkömmliches Auto auszugeben. Im Comfort-Modus muss man keine Angst vor dem Gaspedal haben, die Lenkung ist sanft und intuitiv, sogar der Sound ist im Inneren angenehm. Oder wie der McLaren-Ingenieur es ausdrücken würde: "It drives just as any other car."

Der McLaren GT ist Eleganz in Reinform.
Foto: McLaren

Das könnte schon stimmen. Wären da nicht die 620 PS, der vier Liter große V8 -Biturbo und die insgesamt 320 km/h Spitzengeschwindigkeit. Aber, und darauf ist McLaren sehr stolz, man darf den kleinen Zusatz "GT" im Namen nicht vergessen.

Grand Turismo. Ein Begriff, so klingend wie die (meisten) Autos, die ihn als Bei namen tragen. Was genau er sagen will, wurde über die Jahrzehnte immer wieder neu interpretiert und definiert. Bei Mc Laren ist es ganz klar: Er ist Programm.

Denn der britische Autobauer prahlt beim GT nicht mit der PS-Anzahl oder dem Motor oder der Spitzengeschwindigkeit – sondern mit dem Platzangebot im Kofferraum. Auf die Zielgruppe abgestimmt, wird dabei oft gesagt und visualisiert, dass ein komplettes Golfset dort Platz findet. Für alle anderen: Hinten gibt es 420 Liter Platz, vorn noch einmal 150 Liter.

Die Devise ist klar, man soll damit reisen können. Und um das auszuprobieren, habe ich eine Reise unternommen. Ich hoffe, Sie haben den Genfer See vom Anfang nicht schon wieder vergessen, der war nämlich kein Gimmick, sondern Ausgangspunkt der Tour.

Wo schwarze Katzen schlafen

Von dort aus ging es südlich Richtung Frankreich, besser gesagt Richtung Annecy. Zur Erinnerung: Das Tempolimit in Frankreich liegt bei 130 km/h, zwischenzeitlich sogar nur bei 110 km/h. Das war jetzt keine Erinnerung an Sie, sondern an mich, damit ich weiß, wofür der Strafzettel war, der sehr wahrscheinlich bald einmal eintrudelt.

Die ersten Kilometer auf der Autobahn reichten aus, um zu wissen, dass der McLaren sanft kann. Wie bereits erwähnt: Befinden sich Motor und Fahrwerk im Comfort-Modus, ist es ein waschechter GT, mit dem es sich, auch dank der bequemen Sitze, auf längeren ungehetzten Fahrten wunderbar aushalten lässt.

Schaltet man aber beide Regler auf Sport, sollte man sich anschnallen, wenn nicht eh schon geschehen. Denn dann zeigt der GT, dass er eigentlich noch ein S im Namen haben sollte.

Folgendes (natürlich fiktives) Szenario: freie Fahrt auf der Autobahn, 100 Stundenkilometer. Der rechte Fuß drückt das Gaspedal voll durch, eine Millisekunde passiert nichts, dann hört man den Biturbo förmlich an die Arbeit gehen, und ehe man das verarbeitet hat, schießt der McLaren einen bereits nach vorn in illegale Sphären.

Das ist nicht nur verdammt beeindruckend, das macht auch richtig Laune. Und dann brüllt der GT auch alles zusammen, was sich in seiner Nähe befindet, während im Innenraum es trotzdem weiter so still bleibt, dass man sich gut unterhalten kann.

Foto: McLaren

Ein paar Kilometer weiter traf ich dann wieder auf andere Autos auf der Autobahn, unter anderem einen Mann, der seine Retro-Corvette ausfuhr. Ein wunderschönes Auto, das auch einiges unter der Haube hat, gegen die Kraft des GT aber nicht ankommt. Für ein paar Minuten lieferten wir uns einen natürlich völlig harmlosen Schlagabtausch, ehe ich abfuhr. Wir beide zeigten den Daumen nach oben zum Abschied. Hach, das Leben als reicher Mensch muss so schön sein.

Von der Autobahn ging es nämlich dann östlich am Lac d’Annecy vorbei, durch entlegene Dörfer und verdammt enge Berg kurven.

Und wenn ich entlegen schreibe, dann meine ich das auch. In einem kleinen Dorf, das laut Google Maps nicht einmal einen eigenen Namen hat, aber etwas nördlich von La Sauffaz und Le Villard liegt, habe ich eine schlafende schwarze Katze in einer Nebenstraße beobachtet, die, als ich vorsichtig mit dem McLaren vorbeischleichen wollte, nur entnervt den Kopf hob und ihn nach dem Anblick des grünen Ungeheuers unbeeindruckt wieder senkte. Als wären wir die ersten Besucher seit Jahrzehnten gewesen.

Das wäre allerdings schade, denn was dann folgte, lässt sich kaum beschreiben. Die Strecke rund um den Lac d’Annecy ist landschaftlich und fahrtechnisch ein absoluter Traum. Der See wechselt sich immer wieder mit noch beeindruckenderen Bergpanoramen ab, kurze und enge Serpentinenkurven werden von entspannten Landstraßengeraden unterbrochen. Hier ist es übrigens zu empfehlen, wieder auf den Comfort-Modus zu schalten. Ansonsten merkt man die nicht allzu gut in Schuss gehaltenen Straßen Frankreichs irgendwann in den Lendenwirbeln.

Foto: Pollerhof

In und zwischen den Dörfern Frankreichs spürt man auch sehr gut die Wahrnehmung des McLaren. Ein Vergleich: Wären wir in einem Ferrari F430 dieselbe Strecke gefahren, hätten wir ebenfalls einige Blicke bekommen, die meisten wären aber wahrscheinlich Augenroller gewesen. Beim McLaren, vor allem in dem dunklen Grün, ist das anders. Der GT strahlt in jeder seiner Linien, durch jede Bewegung Eleganz aus. Und das führt sich im Inneren mit den hochwertigen Materialien und dem in unserem Falle hellbeigen Interieur fort. Das ist kein Auto zum Protzen, das ist ein Auto zum Präsentieren auf dem Silbertablett, während man vorsichtig mit weißen Handschuhen den Deckel abnimmt.

Passend dazu, kann ich nur empfehlen, sollten Sie sich zufällig einmal in einem McLaren GT auf dieser Strecke befinden: Das Pulse-Livealbum von Pink Floyd aus dem Jahre 1995 eignet sich hervorragend, um die Erfahrung komplett zu machen. Ich weiß, das beißt sich mit dem Titel, aber Sting hat nun einmal bei weitem nicht so epische Musik geschrieben.

Zurück in Genf musste ich feststellen, dass der See immer noch ein See ist und der McLaren GT immer noch ein Supercar. Warum? Na ja, zum einen weil man innerhalb der Stadt immer wieder Angst hat, über irgendwelche Kanten zu schrammen (wogegen man auch durch das Anheben der Schnauze präventiv vorgehen kann), zum anderen, weil ich dann Preis erfuhr: Bei 198.000 Euro geht es los.

Eine Stange Geld, für ein Supercar hingegen ein gutes Angebot, wie ich finde. Aber was weiß ich schon: Ich suche auch bei den Bains des Pâquis nach Salz in der Luft. (Thorben Pollerhof, 1.10.2021)