KPÖ-Chefin Elke Kahr mit KP-Landtagsclubchefin Claudia Klimt-Weithaler, noch sichtlich überrascht, bei der Wahlfeier am Sonntag.

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Es war der wohl seltsamste Moment an diesem historischen Wahlabend in Graz. Der große Wahlverlierer, ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl, kündigte spürbar angerührt seinen Rücktritt mit den Worten an: "Ich werde meine schützende Hand, aber auch meine helfende Hand von Graz zurückziehen." Was meinte der Bürgermeister, der 18 Jahre lang die Stadt geführt hatte, mit der schützenden Hand? Das klang wie ein Vorwurf, wie die drohende Klage: "Okay, jetzt überlasse ich euch halt diesen Kommunisten. Ihr habt es so gewollt, ihr Wählerinnen und Wähler. Ihr werdet schon noch sehen."

Elke Kahr im ZiB2-Interview zum Wahlsieg der KPÖ in Graz.
ORF

Seit dem frühen Montagabend steht nun fest: Sie werden tatsächlich sehen. Nach der Auszählung der Briefwahlstimmen geht die KPÖ mit 28,84 Prozent als Sieger aus der Graz-Wahl hervor, die ÖVP stürzte um 11,88 Prozentpunkte auf 25,91 Prozent herab. Ein Stadtsenatssitz wandert von der ÖVP zur die KPÖ, die nun drei Stadträte bzw. Stadträtinnen stellen wird, die ÖVP zwei. Grüne und FPÖ erhalten jeweils einen Sitz im Stadtsenat. Die SPÖ hat den Sprung zurück in den Stadtsenat nicht geschafft, was wohl bedeutet, dass SPÖ-Chef Michael Ehmann, wie von ihm angekündigt, zurücktreten wird.

Apokalypse "Leningraz"

Noch vor der Wahl hatten Grazer ÖVP-Politiker bereits sehr drastisch vor einer Übernahme durch die Kommunisten gewarnt. Eine Stimme für links sei "eine Stimme für Chaos, Terror und Angst". Auch Bilder drohender Massenarbeitslosigkeit wurden gezeichnet, von "Leningraz" war da schon die Rede.

Und dann stand diese Person, die große Wahlsiegerin, KPÖ-Chefin Elke Kahr, die der ÖVP apokalyptische Angstträume beschert hatte, am Wahltag vor der TV-Kamera und antwortete auf die Frage, was sie denn so machen werde, bis das Ergebnis vorliege, schlicht, sie werde die freie Zeit nutzen, um endlich ihren Haushalt in Ordnung zu bringen und einige Trommeln Wäsche zu waschen, die sich angesammelt habe. Das schöne Wetter sei ideal, damit die Wäsche auch trockne.

Genau für solche Reaktionen ist Kahr bekannt. Keine großen Worte, eine Sprache, die alle sprechen. Sie könnte die nette Nachbarin von nebenan sein, die immer dann einspringt und hilft, wenn sie gebraucht wird. 28,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler waren am Sonntag der Meinung, dass diese Elke Kahr jetzt wohl nicht in der steirischen Landeshauptstadt den Arbeiter- und Bauernstaat ausrufen, sondern sich so wie schon die Jahre zuvor um die Anliegen der "kleinen Leute" kümmern werde. Als solche haben die Bewohner von Graz sie kennengelernt.

Glückwünsche gab es vom baldigen Ex-Bürgermeister Siegfried Nagl (Zweiter von links) an Elke Kahr dem Vernehmen nach noch nicht.
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Villenviertel wählten Kommunisten

Den Vorwurf, sie hänge einem Sowjetkommunismus nach, wehrt Kahr als "lächerlich" ab. Man kenne sie und ihre Partei seit Jahrzehnten gut genug.

Ihre Anhängerschaft reicht mittlerweile quer durch alle Bevölkerungsschichten. In den Detailergebnissen dieser Gemeinderatswahl ist klar erkennbar, dass die KPÖ mit Elke Kahr auch in den ausgewiesenen bürgerlichen Bezirken, in den Villenvierteln, Stimmen gewinnen konnte. Hier hatte Siegfried Nagl viel Sympathie verspielt, indem er einen Wildwuchs an Investorenwohnungen zuließ, mitten hinein in die alteingesessene ÖVP-Klientel.

Was aber gelang der KPÖ in Graz, was ihr in anderen Bundesländern – wo die KPÖ nicht einmal auf dem Stimmzettel steht – bislang verwehrt geblieben ist? "Nicht einzelne Meilensteine, sondern das langfristige Bearbeiten des Wohnungsthemas war entscheidend", sagt der Politikwissenschafter Manès Weisskircher dem STANDARD. Es begann mit dem Vorgänger Elke Kahrs, Ernest Kaltenegger, der sich um diesen essenziellen Bereich der Stadtpolitik kümmerte, nachdem ihn alle anderen Parteien vernachlässigt hatten. Er besuchte täglich Bewohner von Substandardwohnungen, hörte sich ihre Sorgen an und organisierte Hilfe. Er richtete einen Mietnotruf ein.

Für die stellvertretende STANDARD-Chefredakteurin ist der KPÖ-Sieg eine kleine Sensation. Der Fokus auf das Thema Wohnen war die gewinnbringende Strategie für KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr.
DER STANDARD

Knapp 2.000 Euro Gehalt

Hier kommt die politische Glaubwürdigkeit ins Spiel, auf der der Wahlerfolg laut Weisskircher basiert. Denn während die einen auf Bundesebene etwa fleißig Wahlkampfkosten überschritten, forderten die Grazer Kommunisten nicht nur, die Parteienförderung zu kürzen. Sie legten auch zwei Drittel ihres ihnen zustehenden Politikergehalts von 5.500 Euro netto beiseite. Mit so einem Gehalt verliere man sonst leicht den Blick für die Sorgen der Bevölkerung, sagte Kahr einst. Das Geld wanderte in einen Sozialfonds, der seither bei Kündigungen und Räumungsklagen angezapft wird. 1,7 Millionen Euro sind dadurch laut KPÖ-Angaben seit 1998 zusammengekommen.

Die Zustimmung zur KPÖ, die von den anderen Parteien oft als Caritasverein belächelt wurde, stieg stetig an. Als Stadtrat für Wohnungen veranlasste Kaltenegger, dass in jeder Wohnung eine Dusche und ein WC installiert wird. Regierungskollegen staunten, dass es in Graz überhaupt noch solche Substandardwohnungen gab. Kahr führte die Politik Kalteneggers, der sich zurückzog, nahtlos weiter. Die Bilanz von 2004 bis 2016: 960 neue Gemeindewohnungen wurden errichtet und Grundstücke für 550 Wohnungen gesichert. Das Image als Sozialpartei wurde weiter ausgebaut.

Gescheitertes Kalkül

Die Grazer ÖVP unter dem baldigen Ex-Bürgermeister Nagl und die FPÖ, die ab 2016 mit ihr koalierte, wussten um die Beliebtheit Kahrs. Würde man ihr weiterhin die Grazer Wohnagenden überlassen, würde sie das politisch teuer zu stehen kommen. Die sozialen Kernthemen mussten weg von der KPÖ. Und Kahr, die Grazer "Mieterlobbyistin", wurde nach der Gemeinderatswahl 2016 gewissermaßen in das Verkehrsressort verbannt – in der Hoffnung, man könnte der Grazer KPÖ so den Wind aus den Segeln nehmen. Der Plan ging angesichts des Erdrutschsiegs vom Sonntag ordentlich schief.

Wie aber geht es nun weiter mit der KPÖ, die bald – erstmals in Österreich – die Bürgermeisterin stellen könnte? "Durch die rot-grün-rote Mehrheit könnte sich hier ein einmaliges Gelegenheitsfenster öffnen", sagt Weisskircher, es sei davon auszugehen, dass die Kommunisten weiterhin ihren Schwerpunkt auf Wohnpolitik setzen. Im Wahlprogramm fordert die KPÖ unter anderem einen Mindestlohn von 15 Euro die Stunde, eine Arbeitszeitverkürzung und die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch öffentliche Investitionen.

An eine schnelle kommunistische Expansion in andere Bundesländer glaubt Weisskircher nicht, dazu benötige es langfristige politische Arbeit. Allerdings sollten sich andere linke Akteure, insbesondere die Sozialdemokratie, angesichts des Wahlerfolgs der Grazer KPÖ einmal mehr hinterfragen, meint der Politikwissenschafter. "Wahlerfolge von Rechts-außen-Parteien sind letztlich kein Naturgesetz. Wenn linke Akteure anderswo scheitern, dann auch zum Teil an sich selbst." (Walter Müller, Elisa Tomaselli, 27.9.2021)