1. Haut zeigen
Blanke Bäuche und Rückendekolletés auf den Laufstegen
Die Mantelsäume enden bei Max Mara zwei Handbreit über dem Knie, darunter tragen Models wie Joan Smalls und Gigi Hadid (siehe Bild) Bandeau-Tops und Miniröcke. Sie wirken wie eine Reminiszenz an die Jugendlichen, die ihre Nasen an diesem Morgen an die Fenster der Bocconi-Universität drücken, um die Show zu verfolgen und später Gästen wie der Influencerin Leonie Hanne mit ihren Smartphones hinterherzujagen. Mit der neuen Bauch- und Beinfreiheit steht der ansonsten eher zurückhaltende Mantelspezialist Max Mara nicht allein da. Die sexy Selbstinszenierungen der körperbewussten Generation Z scheinen die Modehäuser zu inspirieren.
Überall blanke Bäuche und Rückendekolletés: Bei Missoni schlägt der neue Designer Alberto Caliri, zuvor die rechte Hand von Angela Missoni, vor, nichts als einen Trenchcoat über einen rasant geschnittenen Bikini zu werfen, bei Prada werden ultrakurze Minis nur durch am Bund hervorblitzende Badehosen entschärft, das Label Sportmax setzt brav geblümten Leggings transparente Oberteile entgegen.
2. In die Breite gehen
Oversize-Silhouetten bleiben
Neu sind die breiten Schultern in den Kollektionen nicht. Dafür ein Erfolgsprodukt. In Mailand tragen Social-Media-Stars wie Veronica Ferraro, in Italien die Nummer zwei nach der Influencerin Chira Ferragni, am liebsten große Blazer. Vielleicht auch, weil es sich so während der Fashion Week leichter durch die Horden an Fans kämpfen lässt. Dass die Zeit der Oversize-Silhouetten im kommenden Frühjahr nicht vorbei ist, signalisieren aber auch so unterschiedliche Label wie Dolce & Gabbanna und Jil Sander.
Während die Sizilianer Paillettenjäckchen aufpolstern, zeigt das Ehepaar Luke und Lucie Meier, seit 2017 bei Jil Sander an der Spitze, reverslose Blazer mit überschnittenen Schultern (siehe Bild) und Oversize-Mäntel, in, Überraschung, Pastellfarben und Zebramustern. Renzo Rosso dürfte das freuen. Der Unternehmer sitzt an diesem Abend bei Jil Sander im violetten Schummerlicht in der ersten Reihe – im Frühjahr 2021 wurde das Modehaus von Diesel aufgekauft.
3. Veränderungen anschieben
Covid-19 wirkt nach
Auf den ersten Blick ist in Mailand vieles wie früher: Autokolonnen schieben sich zu abseitig gelegenen Shows an die Peripherie der Stadt, die Folge sind bis zu einstündige Showverspätungen. Doch der Schein trügt. Vor jeder Präsentation wird der grüne Pass gescannt und das Temperaturmessgerät gezückt. Aber nicht nur das, chinesische Schauenbesucher fehlen, überhaupt ist das Fachpublikum stark geschrumpft. Mit Covid-19-Restriktionen erklären die Häuser ihre Absagen. Auch die Sparmaßnahmen des Verlags Condé Nast werden sichtbar: Die Vogue ist nur noch mit einer Miniaturtruppe rund um Anna Wintour ( siehe Bild) und Edward Enninful, Chef der britischen Ausgabe, präsent.
Kering-Marken wie Gucci oder Bottega Veneta verzichten während der Modewoche ganz auf Schauen. Prada hat eine andere Lösung gefunden: Zeitgleich zur Show in Mailand wird in Schanghai den rund 300 Gästen die gleiche Kollektion präsentiert. Ob dieses Modell Schule machen wird?
4. Mit Tiktok flirten
Das Buhlen um die Jungen
Lange galt das deutsche Modeunternehmen Hugo Boss als Anzughersteller. Das ist es immer noch. Doch statt eines klassischen Laufstegs ist in Mailand das große Spektakel angesagt. Die junge Generation soll durch eine Kooperation mit der US-Sportmarke Russel Athletics, mit Tiktok-tauglicher Casual-Mode und mit Action abgeholt werden. Die Präsentation an der Peripherie der Stadt findet in einem Baseballstadion statt: Es gibt Popcorn, Eis und Burger, eine Blaskapelle spielt auf, und eine Cheerleadertruppe sorgt für Stimmung.
Dazwischen laufen Models wie Gigi Hadid, aber auch Tiktok-Star Khaby Lame (erstmals auf dem "Laufsteg") oder die deutsche Leichtathletin Alicia Schmidt in Collegejacken, Hoodies und Baseballkappen übers Feld. Boss setzt im Gegensatz zu den italienischen Häusern, die in Mailand ihre Frühjahrskollektionen zeigen, auf das Prinzip "See now buy now": Die Kollektion ist sofort zu kaufen, die junge Zielgruppe ist bekanntlich ungeduldig.
5. Events stemmen
Jubiläum und Geheimshow
Erst gab’s auf dem Laufsteg Leinenblazer, Patchwork und strahlende Primärfarben (im Bild) zu sehen, dann verbeugt sich Giorgio Armani Seite an Seite mit seinem langjährigen Männermodedesigner Leo Dell’Orco und Nichte Silvana Armani. Der 87-Jährige signalisiert: Die Zukunft des Imperiums ist gesichert. Der Modedesigner hat im Frühjahr 2020 als Erstes auf Covid-19 reagiert und eine Show ohne Zuschauer veranstaltet. Diesmal gibt es etwas zu feiern, in den hauseigenen Ausstellungsräumen, den Armani/Silos, blickt er auf 40 Jahre Emporio Armani zurück.
Ein paar Tage später lassen zwei weitere Schwergewichte der italienischen Mode die Muskeln spielen: Fendi und Versace haben, ähnlich wie zuletzt Balenciaga und Gucci, eine gemeinsame Kollektion auf die Beine gestellt. "Fendace" heißt das bis zuletzt streng geheim gehaltene Projekt, für das Donatella Versace und Fendi-Designer Kim Jones Models wie Kate Moss und Amber Valletta nach Mailand eingeflogen wurden.
Auch zum Feiern zumute: Arthur Arbesser. Der österreichische Designer präsentiert erstmals nicht nur eine Modekollektion, sondern auch Homeware, los geht es Tischdecken, die aus gemusterten Stoffen seines Archivs gefertigt wurden. Was so eine Pandemie alles bewirken kann.
(feld, 27.9.2021)