STANDARD: Wie weit profitiert BMW beim Thema Wasserstoff-Brennstoffzelle durch die Expertise von und die Kooperation mit Toyota?

Guldner: Beide Firmen haben viele Jahre Erfahrung beim Thema Wasserstoff. Wir ergänzen uns gut, arbeiten seit 2013 zusammen und lernen voneinander.

STANDARD: Der Antriebsstrang ist fertig, der X5 i Hydrogen Next kommt nächstes Jahr in Kleinserie. Bleibt es in absehbarer Zeit beim Einzelschuss oder kommt da noch mehr, etwa auch für private Kunden erhältliche Modelle?

Guldner: Wir arbeiten schon an der nächsten Generation. Aus heutiger Sicht ist die Zeit für einen Markteintritt noch nicht ganz reif, aber wir denken, dass es Ende des Jahrzehnts so weit sein wird. Bis dahin müssen wir die Kosten für den Antriebsstrang, die einzelnen Komponenten, mit unserem Kooperationspartner, aber auch mit unseren Zulieferern deutlich reduzieren. Das ist viel Entwicklungsarbeit. Andererseits braucht es für einen Markterfolg auch die richtigen Voraussetzungen für die Kunden, und die hängen stark davon ab, wie sich das Thema Wasserstofftankstellen entwickelt.

Jürgen Guldner im Gespräch zum
Thema Wasserstoff. BMW ist seit 2014 in Garching ansässig und
spricht seit 2020 offiziell von einem "Wasserstoff-Kompetenzzentrum".

Foto: BMW

STANDARD: Wie viele Menschen arbeiten konzernweit am Thema, wie viele davon im Wasserstoff-Kompetenzzentrum in Garching, und mit welchem Budget sind Sie ausgestattet? Sprich: Sparflamme oder voller Einsatz?

Guldner: Wir decken mit unserem Wasserstoff-Kompetenzteam die gesamte Fahrzeugentwicklung ab. Ich kann Ihnen versichern, dass wir mit voller Ernsthaftigkeit, der notwendigen Mannstärke und dem notwendigen Budget an dem Thema arbeiten.

STANDARD: Wie groß ist das Interesse am Thema Wasserstoff-Brennstoffzelle? Gehen junge Fachleute heute nicht lieber in die Batterieelektrik rein?

Guldner: Ich stelle immer wieder fest, dass das Interesse enorm ist und das Thema Wasserstoff zunehmend begeistert.

STANDARD: Von welchen Forschungs- und Entwicklungsthemen bzw. -bereichen ist hier die Rede?

Guldner: Wie gesagt: Wir entwickeln das komplette System selbst. Die Zellen liefert uns Toyota. Daraus machen wir den Stack (mehrere Zellen zu einem Stapel zusammengefasst, Anm.), haben dafür eine eigene Fertigung. Das komplette Brennstoffzellen- und Antriebssystem haben wir eigens entwickelt. Luftansaugung, -filter, Kompressor, Wasserstoffeinspritzung, Rezyklierung von nicht verbrauchtem Wasserstoff, bis hin zur Abluft. Hinzu kommen Software und Betriebsstrategie. All das haben wir selbst und mit Zulieferern entwickelt. Genauso das Tanksystem mit den Tankbehältern, den zugehörigen Ventilen, dem Sicherheitskonzept, Abschalteinrichtungen – allem, was dazugehört.

Die Brennstoffzellen liefert Kooperationspartner Toyota,
Komponenten wie die Stacks kommen aus eigener Fertigung.
Foto: BMW

STANDARD: Wie vernetzt sind Sie mit Institutionen wie etwa der Fraunhofer-Gesellschaft?

Guldner: Wir arbeiten mit diversen Instituten zusammen, sind auch mit der Fraunhofer-Gesellschaft gut vernetzt und international in vielen Verbänden aktiv.

STANDARD: Derzeit setzt die Branche beim Wasserstoff auf 700-Bar-Tanks. Die Komprimierung erfordert zwölf Prozent des Energieinhalts. Wie vielversprechend sind Ansätze wie jener vom Fraunhofer-Institut in Dresden, die eine Paste entwickelt haben, in der Wasserstoff bei Raumtemperatur und unter Umgebungsdruck chemisch gespeichert wird? Ende des Jahres soll die Produktion beginnen.

Guldner: Wir beobachten solche Entwicklungen genau und schauen uns konkret an, was sie für den Einsatz im Fahrzeug bedeuten. Dabei spielt für uns der gesamte Prozess inklusive der Handhabung und des jeweiligen Energieaufwands eine Rolle. Bisher haben wir keine Pkw-taugliche Variante ausfindig gemacht.

STANDARD: Sehen Sie beim Pkw einen Verdrängungswettbewerb zwischen Akku und Brennstoffzelle oder eher eine Ergänzung, mit Stärken des Wasserstoffantriebs auf der Langstrecke?

Guldner: Absolut Letzteres. Wie sehen das als Ergänzung für unser Nullemissions-Portfolio. Wir teilen uns ja auch einen Teil des Antriebsstrangs. Letztlich ist ein Brennstoffzellenfahrzeug auch ein Elektrofahrzeug, der Unterschied liegt nur in der Energiespeicherung. Der E-Motor etwa ist gleich, auch ein Teil der Elektronik- und Softwarestrukturen. Wir sehen viel Synergien, wollen das künftig auch auf einer gemeinsamen Architektur entwickeln.

STANDARD: Derzeit herrscht die Meinung, Wasserstoff-Brennstoffzellen hätten im Schwertransport Zukunft, im Pkw weniger. Wie sieht BMW das? Konzernchef Oliver Zipse sprach dem ja das Potenzial für eine weitere Säule im Antriebsportfolio zu.

Guldner: Wir sind ein weltweit agierender Konzern. In Japan, Korea, China tut sich viel beim Einsatz von Wasserstoff im Pkw. Wir sehen das als Ergänzung zu den batterieelektrischen Fahrzeugen, weil es bei den Wasserstoff-Fahrzeugen Use-Cases gibt, wo wir sagen: Aus Kundensicht kann es sein, dass die Brennstoffzelle die bessere Lösung ist. Wir wollen das Fahrzeug anbieten, das jeweils am besten zu den Bedürfnissen unserer Kunden passt.

STANDARD: Ohne Tankstellennetz geht nichts, aber das ist mit hohen Kosten verbunden. BMW ist seit 2017 im Rahmen des Hydrogen Councils involviert in den Ausbau der Infrastruktur für die Wasserstofftechnologie. Lässt sich abschätzen, was ein flächendeckendes Netz kosten wird?

Guldner: Es gibt Studien, etwa vom Forschungszentrum Jülich: Wenn man alle Pkw in Deutschland emissionsfrei betreiben möchte, kommt in Summe infrastrukturmäßig ein Mix aus Wasserstoff und Elektro-Ladeinfrastruktur günstiger als eine rein elektrische.

STANDARD: Bei Kosten von einer Million Euro pro Wasserstofftankanschluss?

Guldner: Projiziert man das auf Deutschland, braucht man 800 bis 1000 Tankstellen (derzeit: 91, Anm.), für Europa rund 4000. Damit hätte man eine gute Abdeckung mit einer überschaubaren Anzahl an Tankstellen. Und wenn man jetzt davon ausgeht, dass Wasserstoff zuerst in Nutzfahrzeugen eingesetzt wird und dort in den nächsten zehn, 20 Jahren eine höhere Durchdringung kommen wird als im Pkw-Bereich – beim Pkw wird das aus unserer Sicht nicht Mainstream, aber ein signifikanter Anteil –, dann sind die Kosten für eine weitere Komprimierung von 350 Bar auf 700 Bar sogar noch deutlich geringer als die eine Million Euro. (Andreas Stockinger, 14.10.2021)