Trümmer stimmen auf Rebecca Horns Retrospektive ein. Zum ersten Mal seit fast 30 Jahren widmet sich eine Personale in Wien der großen deutschen Konzeptkünstlerin, die nie Teil einer Bewegung sein wollte.

Foto: Gregor Titze / Bank Austria Kunstforum Wien

Man steht vor einem Trümmerfeld, betritt man die Retrospektive, die das Kunstforum gerade der deutschen Künstlerin Rebecca Horn ausrichtet. Was da vor einem liegt, war nicht für diesen Ort gedacht. Es ist importiertes Leid. Klagelaute in verschiedenen Sprachen dringen aus den glänzenden Kupfertrichtern, die sich ihren Weg durch Bauschutt und Paletten bahnen. Es klingt, als wären unter den Trümmern Menschen begraben, die über ein Schicksal lamentieren, mit dem sie sich doch abgefunden haben.

1997 entwickelte Horn die Arbeit für die Biennale in Venedig. Die Materialien hat sie dort aus verfallenden Häusern zusammengetragen und thematisierte damit ein konkretes Problem einer Stadt zu einem konkreten Zeitpunkt. Trotzdem funktioniert Horns Arbeit fast 25 Jahre später in Wien und wird das auch in 25 Jahren andernorts tun. So tagespolitisch aktuell das Concerto del Sospiri 1997 in Venedig war, das menschliche Leid, um das es im Kern der Arbeit geht, ist zeitlos.

Das 1944 in Michelstadt geborene "weibliche Äquivalent zu Richter, wenn auch nicht, was den Marktwert betrifft", wie die Kuratorin Bettina M. Busse es augenzwinkernd formuliert, sorgte 1972 als jüngste Teilnehmerin der mittlerweile sagenumwobenen Documenta 5 unter Harald Szeemanns Ägide für Aufsehen. Horn blieb, obwohl ihr Werk Spuren von Fluxus und feministischer Avantgarde aufweist, Einzelgängerin, die sich keiner Bewegung anschließen wollte. Wer sich künstlerisch mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Liebe, Hass, Gewalt, mit den großen Gegensätzen, mit dem Körper und seinen Grenzen, mit Natur und Mythos beschäftigt, hat auf dem schmalen Grat zwischen Banalität und Sublimität zu wandern.

Hier wird geschossen.
Foto: Gregor Titze/Bank Austria Kunstforum Wien

Es ist eine, wenn nicht die Stärke der deutschen Konzeptkünstlerin, universelle Themen auf eine Weise anzusprechen, die nicht plakativ, schulmeisterlich oder – sorry, Beuys – guruhaft esoterisch wirkt.

Distanz durch Technik

Die cleane und schnörkellose Ästhetik, der sich Horn bedient, mag da helfen, andererseits die "Distanz durch Technik", die sie mittels ihrer Maschinen schafft. Viele ihrer Arbeiten werden von Motoren betrieben, setzen sich in Bewegung, wenn man sich annähert, und verrichten dann allerhand eigenartige Abläufe. Bekannt ist der Flügel (Concert for Anarchy, 1990), der kürzlich in der Beethoven bewegt-Schau im Kunsthistorischen Museum zu sehen war: Verkehrt von der Decke hängend legt er mit einem plötzlichen Scheppern seine Eingeweide frei und saugt sie dann wieder ein, als wäre nichts gewesen. Slapstick!

Über einem Straußenei pendelt bedrohlich ein Aluminiumstab, zwei Pistolen zielen aufeinander, Quecksilber schlängelt sich verführerisch hinter Glas, eine schwere Metallkonstruktion richtet zarte Federn auf. Über allem liegt ein großes Unwohlsein, eine Gefahr.

Concert for Anarchy, 1990
Foto: Attilio Maranzano

Die Schau räumt Horns Arbeiten den nötigen Platz ein, um ihre Wirkung zu entfalten. Leider mussten Horns Filme, für die einige Skulpturen eigentlich angefertigt wurden (das erwähnte Klavier spielte in Buster’s Bedroom von 1990 eine tragende Rolle), aus Platzgründen in den Keller verbannt werden – aber immerhin: Man kann sie sehen.

Ziel der Retrospektive war es, Horn in ihrer Versatilität zu zeigen: als Filmemacherin, als Dichterin, als politischen Menschen, als Grafikerin, Performerin, Bildhauerin und Pionierin der raumgreifenden Installation. Die letzten beiden Aspekte kommen gut zur Geltung, die anderen geraten etwas ins Hintertreffen. (Amira Ben Saoud, 28.9.2021)