Die neue Business-Generation ist da: Cleo (Stacyian Jackson) und Raschid (Bardo Böhlefeld) mit Fabrikant Matthias (Peter Simonischek).

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Lassen sich nicht alles gefallen: Fabrikarbeiter Jürgen (Falk Rockstroh) und Goran (Dalibor Nikolic) mit Igor (Rainer Galke), Handwerker in Privatanstellung.

Foto: M. Ruiz Cruz

Die Zeiten jenseits von Grinzing ändern sich stetig. Doch die Nachkommen einer im schönen Villenagglomerat lebenden Wiener Fabrikantenfamilie kommen damit nicht zurecht. Sie haben sich an den Reichtum gewöhnt, vertrauen auf die Beständigkeit des Erfolgs, pflegen bequeme Kontakte ins Ministerium und sind alles in allem tief unglücklich. Da ist eine Pandemie namens Corona nur eine Randerscheinung, doch es hängt alles zusammen: Die Gewerkschaft fordert Maskenpausen für die Arbeiter.

Der zwischen Netflix, Oper und Theater switchende Regisseur Simon Stone hat erneut im literarischen Kanon gewühlt und sich aus zwei Dramen Maxim Gorkis, Kinder der Sonne (1905) und Feinde (1906), ein neues Stück gebaut. Komplizen hatte am Sonntag Uraufführung im Burgtheater. Stone übersetzt die jeweils zentralen Motive – den sogenannten Choleraaufstand der Arbeiter gegen die Bildungselite und einen klassenkämpferischen Angriff in einer Fabrik – in die österreichische Gegenwart. Aus Cholera wird Corona, aus Nasar Wygrusow wird Wien. Aus Protassow wird Prositsch.

Vier Stunden lang ziehen bei der Premiere die Glasbungalows der Familie Prositsch auf der Drehbühne (Bob Cousins) vor den vollbesetzten Publikumsrängen vorbei. Mittig ragt ein Palmengarten empor. Gut geht es ihnen, nur scheinbar. Der Enkel des Fabrikgründers, der Bakteriologe Paul Prositsch (Michael Maertens), flüchtet sich oft in sein Labor, seine Schwester Lisa (Mavie Hörbiger) ist depressiv und hadert mit dem Ererbten: Die Fabrikgründung basiert auf arisiertem Kapital. Ihr Therapeut (Felix Resch) ist in sie verliebt. Pauls junge Ehefrau Tanya (Lilith Häßle) ist Schauspielerin und bringt den von der Sozialfotografie in die verblasene Künstlerschickeria aufgestiegenen Fotografen Dietmar (Roland Koch) mit ins Haus.

Klassenkampf

Über ein Dutzend dem Haus verbundene Personen ziehen ständig um die Glasfronten. Vor allem auch das Personal, das mit Stumme-Diener-Rollen nichts mehr gemein hat, sondern hier synchron und abhängig von der besitzenden Klasse seinen eigenen Befreiungskampf kämpft. Man hat "Waffen": Von Handwerker Igor (Rainer Galke) ist man ebenso abhängig, denn nur er kennt sich mit dem WLAN-Router aus; da spielt man seine übergriffigen "Witze" der Putzfrau (Safira Robens) gegenüber gern hinunter. Diese wiederum wird bald Medizin studieren und den Reinigungsjob hinter sich lassen. Die Hausangestellte Anita (Annamária Láng) ist die informelle Psychotherapeutin des Hauses, wird gut bezahlt und muss deshalb den selbstmitleidigen Sumpf der degenerierten und ignorant-abgehobenen Arbeitgeber ständig ertragen. Von Zeit zu Zeit rastet sie aus. Ein reiches Gesellschaftspanorama.

Man sieht hier mit fortschreitender Zeit und den sich dramatisch zuspitzenden emotionalen wie politischen Verwerfungen eine theatralische Fernsehkurzserie wachsen, eine Art David-Schalko-de-luxe-Produkt, in dem in einem exemplarischen Lebenskosmos sämtliche gesellschaftspolitischen Baustellen ineinandergreifen, von MeToo über das alte degenerierte Europa bis hin zu Wirtschaftsintrigen und Migrationsgesellschaft.

Am Ende wirkt dies alles zu überladen und etwas mühsam am Reißbrett entworfen. Nach einem sehr dichten und sich spannend auffächernden ersten Teil erstickt Teil zwei im turbulenten Weg der Konfliktlösung bzw. einer niederschmetternden Conclusio: Nachdem eine neue Business-Generation auf der Bildfläche erscheint, eine, die der Hunger der benachteiligten Klassen antreibt, sagt Onkel Matthias (Peter Simonischek): "Wir" – gemeint ist die alte Wirtschaftselite – "sind selber schuld. (...) Es ist aus für solche wie uns." Und er sagt es, als wäre diese Elite nicht Opfer ihrer selbst.

PCR-Start-up

Geschäftsführer Raschid (Bardo Böhlefeld), Neffe eines serbischen Gemüsehändlers, hat nämlich die Mehrheitsanteile des Gurkerlimperiums gekauft, seine Frau (Stacyian Jackson) die Familienvilla der Prositschs geschluckt. Sie hatte Paul angeboten, ein PCR-Test-Start-up aufzubauen, doch er, der nie im Leben an Geld denken musste, erforscht lieber den Pilzbefall auf Leinwänden historischer Gemälde. Ein Auftrag vom KHM! Alte gegen neue Welt.

Stone gibt auch den Pärchenbildungen viel Raum. In häufigen Szenenweiterdrehern wechseln einander die Fabriksdramen (Falk Rockstroh und Dalibor Nikolic als Arbeiter) und die privaten Krisen ab. Zu den eindrücklichsten Darstellungen zählt Birgit Minichmayr als Anwältin Melanie. Sie ist von Paul so hingerissen, dass sie ihren Körper nur schwer unter Kontrolle hat.

Komplizen umreißt eine Umbruchszeit, doch Stone presst sie in ein zu enges, fatalistisches und erklärwütiges Bild. Etwas erschlagen von den Lektionen der Gegenwart gab der Applaus überraschend früh nach. (Margarete Affenzeller, 27.9.2021)