Als Ministerin musste Franziska Giffey (SPD) wegen ihrer Doktorarbeit gehen, als Berlins Bürgermeisterin kommt sie zurück.

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In Berlin ging es am Sonntag um mehr als um die Wahl des neuen Bundestages. In der rot-rot-grün regierten Stadt waren Bürgerinnen und Bürger auch aufgerufen, über das Abgeordnetenhaus, die Bezirksverwaltungen und den Volksentscheid über die Enteignung von Wohnkonzernen abzustimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 75,7 Prozent deutlich höher als 2016 mit 66,9.

So viel steht am Tag nach der Wahl fest: Der Bürgermeistersessel, auf dem bisher Michael Müller saß, der nicht mehr zur Wahl antrat, bleibt in SPD-Hand. Er wird aber ein Bürgermeisterinnensessel. Die bei der Bevölkerung beliebte 43-jährige Politikerin Franziska Giffey wird auf ihm Platz nehmen. Was auch feststeht: Die Stadt kann weiterhin nur mit einer Dreierkoalition regiert werden. Dabei ginge sich Rot-Rot-Grün weiterhin bequem aus, ist aber alles andere als sicher.

Verliererin in Berlin heißt AfD

Zum Großteil sehen die Wahlergebnisse in Berlin sehr ähnlich wie jene vom letzten Mal aus. Nur die Grünen konnten deutlich dazugewinnen, und die AfD halbierte ihre Stimmen beinah. Giffey selbst erhielt 21,4 Prozent (und 40,9 Prozent der Erststimmen) und damit nur 0,1 Prozentpunkte mehr als ihr Vorgänger. Die Grüne Bettina Jarasch errang mit 18,9 ein Plus von 3,7. Gleich hinter Jarasch landete Kai Wegner von der CDU mit 18,1 Prozent, einem Gewinn von 0,4 Prozentpunkten. Die Linke verlor mit ihrem Kultursenator Klaus Lederer 1,4 Prozentpunkte und schaffte 14 Prozent.

Schlusslichter wurden die AfD mit acht Prozent (minus 6,2), die Kristin Brinker einfuhr, und die FDP, für die Sebastian Czaja 0,5 Prozentpunkte dazugewinnen konnte, aber mit 7,2 hinter der rechtsextremen AfD blieb.

Für die Linken stehen die Chancen, im nächsten Dreierbündnis zu sitzen, nicht besonders gut. Giffey blinkte schon im Wahlkampf deutlich in Richtung CDU zu Wegner. Nach der Wahl sieht sie "ein klares Votum für SPD und Grüne", weist aber auch darauf hin, dass CDU und Grüne quasi gleichauf liegen. Reden wolle Giffey aber mit allen.

Franziska Giffey kann sich jedenfalls über ein politisches Comeback auf Landesebene freuen. Die 43-Jährige war von März 2018 bis Mai 2021 Familienministerin und musste wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit zurücktreten. "Für Berlin reicht’s", raunten da manche Politbeobachter – und das dürfte in der Tat zugetroffen haben. Auch wenn die Grüne Jarasch Giffey im Endspurt so knapp auf den Fersen war, dass es am Wahlabend sogar kurz danach aussah, die neue Chefin im Rathaus würde eine Grüne sein. Letzten Endes siegte Giffey aber deutlich.

Deutlich war auch der Ausgang des Volksentscheids "Deutsche Wohnen und Co enteignen", über den die Berlinerinnen und Berliner am Sonntag ebenfalls abzustimmen hatten. 56,4 Prozent stimmten dafür, dass man Unternehmen, die mehr als 3.000 Mietwohnungen mit Gewinnerzielungsabsicht besitzen, "enteignet". Konkret geht es um eine Vergesellschaftung, bei der die Wohnungen von der Stadt gekauft werden sollen, um überhöhte Mietpreise einzudämmen. Das nötige Mindestquorum von einem Viertel der Wahlberechtigten wurde mehr als erreicht.

Giffey war allerdings, anders als über die Hälfte der Stadtbevölkerung, wo rund 80 Prozent der Menschen Miete zahlen, gegen die Enteignungen. Sie muss diese aber nun umsetzen und bestätigte am Montag auch, den Entscheid zu akzeptieren. Wegner von der CDU wäre in dieser Sache mit Giffey im selben Boot, während der Linke Lederer und die Grüne Jarasch für die Enteignung votierten.

SPD und CDU

Das heißt, wie hart man mit Konzernen wie Deutsche Wohnen oder Vonovia über den Kaufpreis verhandeln wird, hängt von der Zusammensetzung der künftigen Koalition ab. Neben Wegner wäre auch Czaja von der FDP als Koalitionspartner für Giffey zu haben. Ganz ohne Grüne wird es aber keine Mehrheit geben. Andere inhaltliche Überschneidungspunkte, die für Giffey die CDU sicher attraktiver erscheinen lassen als die Grünen oder die Linken sind etwa der Ausbau der Autobahn A100 und die Randbebauung des Tempelhofer Feldes. Wegner würde die Wohnungsnot lieber so lösen als mit gesenkten Mieten oder dem von der Stadt im Vorjahr eingeführten und vom Höchstgericht gekippten Mietendeckel.

Ein Linksruck wird sich im Roten Rathaus in den kommenden Jahren jedenfalls nicht manifestieren. (Colette M. Schmidt aus Berlin, 27.9.2021)