Wien hat sich sehr verändert, seit Familie Wang im Jahr 1963 direkt beim Stephansdom ihr Restaurant eröffnete – im Vergleich zu den multiplen Revolutionen, die China seitdem durchgemacht hat, mutet es freilich wie Stillstand an.

Im Restaurant Shanghai durfte alles bleiben, wie es ist: Die Einrichtung in lupenreinem China-Barock mit güldenen Schnitzereien und aufwendig ziseliertem Plafond wurde sorgsam gepflegt. Auch die Speisekarte hat sich im Lauf der Jahrzehnte nur unmerklich verändert – mit klassischen Innenstadt-Wienern als Stammgästen ist regungsloser Konservativismus eine durchaus clevere Strategie.

Das Shanghai beim Stephansplatz ist Chinabarock pur – jetzt wurde es mit neuer Küchenlinie und neuer Mannschaft frisch gemacht.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Auch die Betreiber waren stets dieselben. Patrick Wang (16), der gerade am Judenplatz seine Ausbildung zum Sommelier macht und am Wochenende im Betrieb aushilft, ist erst die zweite Generation. Der Vater ist vor einigen Jahren verstorben, und seiner Frau, Qiu Liping, wurde das tägliche Geschäft auf die Dauer ein bissl viel.

Mit dem Neustart ist deshalb die befreundete Familie Urban-Chao mit an Bord. Und das sind gute Nachrichten: Frau Chunak Urban-Chao führt das köstliche Sichuan im Donaupark, einst als Joint Venture zwischen Wien und der Volksrepublik gegründet und seit vielen Jahren ein Ort, von dem aus etliche der besten chinesischen Köche der Stadt den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt haben.

Wein aus der Wüste

Ihr Sohn Tim Urban ist Geschäftsführer im Shanghai und hat als Diplom-Sommelier seinen Freund und Weinhändler Robert Stark dafür gewinnen können, sich nach Jahren wieder die Schürze umzubinden – zumindest an ein paar Tagen der Woche. Zwei Sommeliers in einem Chinarestaurant – das ist eine unerhörte Ansage. Dementsprechend ambitioniert ist der Anspruch.

Auf der Karte ist von Fine Dining zu lesen. Die Weinkarte ist mit Finesse und Witz zusammengestellt und bietet neben allerhand Champagner (gute Preise!) auch richtig Überraschendes, etwa chinesischen Biowein aus der mythischen, vom Gletscherwasser des Tian Shan bewässerten Oase Puchang (154 Meter unter dem Meeresspiegel) in der Wüste Gobi. Nur so viel: Der Puchang Rkatsiteli 2018 (eine der ältesten Rebsorten der Welt, aus Georgien) verblüfft mit knackiger Frische und burgundischer Eleganz. Sehr seriöser Wein!

Beim Essen wird, durchaus kontrapunktisch, auf Reduktion gesetzt. Dafür kommen jetzt Topprodukte zum Einsatz. Winzige Gurken von der Gärtnerei Bach etwa, als vor Frische berstender Salat ein Teil der rundum köstlichen Horsd’oeuvres-Platte mit dunkel geschmortem Rotbarsch, kaltem Sichuan-Huhn – bei dem einem nicht nur dem Rezeptnamen (Kou Shui Ji) nach das Wasser im Mund zusammenläuft –, gebeiztem Rettich mit Thymian und gefüllter Lotuswurzel.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Potsticker (gebratene Jiao Zi) sind fantastisch knusprig, Har Gow, in zarten Reisteig gehüllte, mit Ingwer gehackte Garnelen, auch sehr gut – nur der Teig gerät nicht ganz so elastisch wie sonst. Fisch kommt von Eishken, die David-Hervé-Auster mit Nadelpilzen, Glasnudeln und gar nicht wenig frittiertem Knoblauch ist ein besonderer Bringer. Knusprig gebratene Makrele mit gegrilltem Kräuterseitling von den Pilzbrüdern (großartig!) kann es aber auch.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die mit Blunze und Kraut gefüllte Frühlingsrolle ist dann ein eigenes Kapitel: hauchdünner, splittrig-fetter Teig, knackig würzige Fülle, dazu ein Dip aus geschmortem Apfel mit wahnsinnig gutem Curry – sofort will man noch eine haben.

Foto: Gerhard Wasserbauer

So geht es dahin, das knusprige Orange Beef von der alten XO-Milchkuh kann es ebenso gut wie der wirklich fantastische Mapo Tofu. Danach schwirrt einem die Zunge aber wie nach einem Stich ins Hornissennest. Gut so, ein Seidl Tiger-Bräu aus Groß Gerungs sollte man halt vorsichtshalber schon auf dem Tisch stehen haben. (Severin Corti, RONDO exklusiv, 1.10.2021)

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