Das Heck des Boat Tail verfügt über einen Sonnenschirm und einen bereits gefüllten Kofferraum. Dort ist etwa der Kühler für den Champagner, der konstant die sechs Grad Celsius für den Armand de Brignac hält.

Foto: Rolls-Royce

Die Gäste sitzen schon auf den weißen Sesseln auf dem geschotterten Platz, richten sich Krawatte, Kleid oder Taschentuch, als die Braut das kleine Schloss über einen Nebeneingang verlässt. Dort wartet eine Limousine auf sie.

Der Wagen fährt wenige Sekunden lang auf der Rückseite des Schlössls vorbei, rüber zu den wartenden Gästen. Unter den Reifen knirscht der Kies, darüber gluckert leise ein Zwölfzylinder, dahinter schluchzt, von außen nicht zu hören, die Braut. Der Wagen hält, der Chauffeur steigt aus und öffnet die hintere, sich nach vorne öffnende Tür.

Das Auto hat seine Macht als Repräsentationsobjekt noch lange nicht verloren. Das erkennt man auch auf dieser Hochzeit, die erst am vergangenen Wochenende stattgefunden hat. Der Fußweg vom Portal des Schlosses hin zu den Gästen wäre nämlich nicht nur kürzer und unbeschwerlicher gewesen, sondern wegen des schönen Portals wohl ebenso beeindruckend.

Der Rolls-Royce wurde für die Hochzeit und die gut 50 Meter eigens angemietet. Er gehörte von Anfang an zur Planung der Hochzeit, wie das Kleid der Braut, die Torte und – na ja, auch der Gatte.

Versteckte Details

Marc Court ist der einzige Mensch, der die Coachline malen darf. Erst wenn sie drauf ist, ist ein Rolls-Royce fertig. Für die feine Arbeit hat er seine eigenen Pinsel und seine eigene Technik entworfen.
Foto: Rolls-Royce

Dabei sind es nicht nur die schiere Größe des Wagens, das Wissen um den horrenden Preis eines Rolls-Royce, der potente und dennoch flüsterleise Motor oder dass man Autos dieser Marke schlicht mit Luxus verbindet, ausschlaggebend dafür, dass die Limousine als Fortbewegungsmittel – gegen die ebenfalls sehr teuren Stöckelschuhe – gewonnen hat. Es sind die kleinen Details, die so einen Wagen ausmachen. Die Sachen, die man nicht sieht – oder nur, wenn man sehr aufmerksam ist.

Wie der Kühlschrank, der sich in der Mitte der hinteren Reihe befinden könnte. Der Regenschirm, der sich in den vorderen Türen versteckt – eine Idee, die sich Škoda abgeschaut hat. Oder die Radnaben, die glänzend das Logo tragen und die sich nicht mit dem Rad mitdrehen, damit das in sich verschränkte RR immer in der Waage ist, wenn man den Wagen abstellt. Man will ja ordentlich erscheinen. Doch ein an sich wichtiges Detail fehlte an dem Hochzeits-Rolls-Royce – und wir fanden nicht heraus, warum.

Geht Marc Court eines Tages in Pension, wird ihm sein Sohn nachfolgen.
Foto: Rolls-Royce

Was fehlte, war die Signatur von einem Engländer, Marc Court. Er ist der Einzige, der die Coachline – die feine, handgemalte Linie auf den Seiten eines Rolls-Royce – machen darf. Zwei Personen bereiten ihm den Wagen dafür auf. Der Lack muss fettfrei sein, bevor er die Flanke mit einer besonders feinen Kreide pudert. Um den zarten Strich malen zu können, darf seine Hand beim Ziehen nie hängen bleiben. Und Handschuhe kann er dabei nicht tragen.

"Damit habe ich zu wenig Gefühl", sagt Court. Er hat für diesen Strich seine eigene Technik entwickelt, seine eigenen Pinsel, die ja nie ein Haar verlieren. Denn der von ihm aufgetragene Lack kann zwar poliert und gewachst, aber – schon gar nicht, wenn er einmal trocken ist – nicht mehr ausgebessert werden.

"Ich erkenne sofort, ob eine Coachline ausgebessert oder nicht von mir ist", erklärt Court. Und darum legen viele Besitzer nach einem Unfall Wert darauf, dass er wieder die Coachline zieht, weshalb er dafür auch schon das eine oder andere Mal nach Dubai fliegen musste.

Extrawünsche

Bei Rolls-Royce bietet man Kunden Musterpaletten für Farben, Leder und Furniere für die kommode Auswahl, man kann aber auch wählerischer sein.
Foto: Rolls-Royce

Kunden von Rolls-Royce sind eben besonders. Sie wissen, dass sie sich alles wünschen dürfen und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Wunsch dann auch erfüllt wird, extrem hoch ist. Bei Rolls-Royce erzählt man etwa die Geschichte von der Dame, die mit ihrem Lippenstift in Goodwood auftauchte und ihren Wagen in genau der Farbe haben wollte.

Nicht weniger eindrucksvoll ist die Farbwahl eines anderen Kunden, der dem Werk ein Bobbycar als Farbmuster zukommen ließ. Aber das ist alles noch gar nichts gegen die Geschichte von dem Mann, der einen gefällten Baum aus seinem Garten nach Goodwood brachte, damit man im Werk daraus die Furnierung für den Innenraum seines Wagens machen konnte. Doch einen exzessiven Hang zum Auto pflegen weit mehr Menschen als die Rolls-Royce-Kunden.

Herbert F. (richtiger Name der Red. bekannt, Anm.) kann sich für Autos so sehr begeistern, dass er sich das eine oder andere schon kauft, bevor er überhaupt die Gelegenheit hatte, es zu fahren. Der Unternehmer hat bei der letzten Expansion sein eigenes Werk gleich auch um eine freie Werkstatt erweitert. Dort werden natürlich auch andere Kunden betreut, ein Hintergedanke war aber wohl, einen Experten zur Hand zur haben, der für die Adaptionen, die sich F. bei seinen Autos wünscht, prädestiniert ist – ein Mechaniker und Rennfahrer.

"Es muss anders sein"

Die Coachline eines Rolls-Royce ist immer von Hand gemalt, muss aber nicht immer ein einfacher, sehr dünner Strich sein.
Foto: Rolls-Royce

F. besitzt mehrere E-Autos, Plug-in-Hybride, Oldtimer und einige Performance-Cars, die leistungsgesteigert sind, auch wenn man als Kleinwagenfahrer gar nicht auf die Idee kommen würde, dass es so einem Sportwagen an Leistung fehlen könnte. Einer seiner Plug-in-Hybride klingt dank eingebauter Soundanlage wie ein fetter V8-Sauger, sein GR Yaris wie fetter Sechszylinder.

"Ah geh, nein, ein schlechtes Gewissen habe ich deswegen nicht, jeder Lkw, der vorbeifährt, ist lauter als meine Autos", sagt er. Zudem ist er im Alltag meist elektrisch unterwegs, hat Lademöglichkeiten daheim und in der Firma, seine Boliden führt er fast ausschließlich auf Renn- und Rundstrecken aus.

Für die Auswahl seiner Autos zählt vor allem eines: "Es muss anders sein." Wenn ein Wagen zu sehr der Masse entspricht, wird er umgebaut, verbessert, adaptiert. Und so erklärt sich auch, warum er Autos manchmal blind kauft: "Wenn du etwas Exklusives haben willst, darfst du nicht warten, bis es am Markt ist, weil dann gibt es dieses Auto nicht mehr zu kaufen."

Als Wertanlage sieht er seine Garage nicht. "Das Auto ist die schlechteste Wertanlage, die es gibt. Es ist viel mehr ein Hobby, das Geld kostet." Wenn er wegen seines Faibles schief angeschaut wird – "eh vor allem von meiner Frau" –, stört ihn das nicht. "Meine Frau akzeptiert es, und um mir wegen der anderen Leute Gedanken zu machen, müsste mich mehr interessieren, was andere denken."

Zeigen, was man (nicht) hat

Im März 2020 kündigte der britische Autobauer die Dawn Silver Bullet Collection an. Diese ist auf 50 Stück limitiert.
Foto: Rolls-Royce

Damit unterscheidet er sich wohl von einigen Rolls-Royce-Kunden, jedenfalls von jenen, die sich einen exklusiven Wagen für ihren Auftritt anmieten oder ausborgen. Und weil Menschen wie Herbert F. ihre Porsches oder Oldtimer auch ganz selbstverständlich an Freunde verborgen – "damit die Autos nicht vom Stehen hin werden" –, müssen sich die exklusivsten Autobauer eben immer Neues einfallen lassen, damit ihre Kunden unter sich bleiben können.

Wie den Boat Tail. Damit baut Rolls-Royce das aktuell teuerste Auto der Welt. Preis: rund 23 Millionen Euro. Aber keine Sorge, die drei Autos sind bereits vergeben. Mehr wird es davon nicht geben, alle drei werden sich stark unterscheiden. Ob Jay-Z und Beyoncé sich nun einen gesichert haben, will niemand bestätigen.

Als Hinweis darauf gelte aber, dass unter dem Sonnenschirm am Heck eines der Autos ein Champagnerkühler stecke, der den Armand de Brignac, den Lieblingschampager des Besitzers, konstant auf genau sechs Grad Celsius kühlt. Da fällt dann gar nicht auf, wenn die Coachline fehlt. (Guido Gluschitsch, RONDO exklusiv, 12.10.2021)