"Muskeln haben kein Geschlecht", entgegnet Bodybuilderin Sophie Diemann allen, die sagen, muskelbepackte Frauen sähen oft aus wie Männer.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Sophie Diemann ist Bodybuilderin und lebt in Wien. Auf ihrem Instagram-Account erklärt sie, wie ihre Ernährung aussieht, ihren Trainingsplan, wie das Posing und Tanning bei Wettkämpfen funktioniert – und nicht zuletzt: welche Komplimente total daneben sind. Diemann gibt Einblicke in einen Sportkosmos, der Außenstehenden eher fremd ist. Das Interview findet zwei Wochen vor einem Wettkampf statt.

STANDARD: Wie sind Sie zum Bodybuilding gekommen?

Sophie Diemann: Ich habe in meiner Jugend viel Fußball gespielt, dann hatte ich zwei Knieverletzungen. Eher aus Reha-Gründen habe ich mich im Fitnessstudio angemeldet. Und gemerkt, dass sich der Körper genauso verändert, wie man das gerne möchte. 2018 habe ich dann meinen ersten Bodybuilding-Wettkampf gesehen, eher zufällig auf einer kleinen Messe in Bremen. Und da habe ich gedacht: Mensch, das kann ich ja vielleicht auch. Seitdem bezeichne ich mich als Bodybuilderin, ich betreibe es als Wettkampfsport. 2019 war ich das erste Mal auf der Bühne.

STANDARD: Sie machen das aber nur nebenher?

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Diemann: Es ist und wird bei mir definitiv immer ein Hobby bleiben, weil ich Architektin bin. Es gibt auch nur eine Handvoll Athletinnen, die Bodybuilding als Beruf betreiben. Es gibt eine Medaille oder einen Pokal, aber im Grunde investiert man mehr, als man rausbekommt. Es gibt einige, die auf Instagram für Nahrungsergänzungsmittel Werbung machen oder für Fitnessstudios. Ich würde auch sagen, ich bin eine kleine Bodybuilding-Influencerin. Aber im Grunde ist es einfach eine Leidenschaft.

STANDARD: Wie groß ist der Zeitaufwand?

Diemann: Ich bin fünfmal die Woche im Fitnessstudio für rund zwei Stunden. Meist morgens um sechs Uhr, dann trainiere ich bis kurz nach acht, dusche mich und fahre zur Arbeit und habe dann ganz normal meinen Vollzeitjob. Dazu kommt die Planung der Ernährung, ich koche zwei- bis dreimal die Woche vor. Dann habe ich mein Essen immer dabei.

STANDARD: Viele Bodybuilder essen Fleischberge.

Diemann: Das mache ich nicht. Ich esse Fleisch, aber um meinen Proteinbedarf zu decken, reichen 100 Gramm am Tag. Ich esse auch nicht jeden Tag welches.

STANDARD: Sie haben heute gepostet, dass Sie bereits 45 Wochen auf Diät sind. Für ein Hobby ist das ziemlich aufwendig.

Diemann: Wenn man Bodybuilding als Wettkampfsport machen möchte, muss man sein Körperfett möglichst weit reduzieren. Das bedarf einer Diät. Ich habe seit letztem Oktober knapp 15 Kilo verloren. Aber klar, stimmt schon, spontan Essen gehen mit Freundinnen ist in solchen Phasen nicht möglich. Das Sozialleben leidet total.

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STANDARD: Muskeln sind inzwischen im Mainstream angekommen, sogar Schlager-Queen Helene Fischer ist ziemlich trainiert. Welche Reaktionen beobachten Sie?

Diemann: Die sind natürlich sehr divers. Viele finden Bodybuilding zu extrem, sie können nicht damit umgehen, dass ich nicht dem Bild entspreche, das in den Medien gepredigt wird. Aber ich habe irgendwann gelernt, dass ich nicht existiere, um anderen zu gefallen, sondern um genau das zu machen, was ich gerne mache, um glücklich zu sein. Und dementsprechend ist meine Devise mittlerweile: Alles, was mich runterzieht, das blende ich aus. Das bedeutet auf Instagram, ich lösche Nachrichtenanfragen und blockiere Menschen.

STANDARD: Sie thematisieren manchmal aber auch, welche Meldungen Sie erhalten. Warum?

Diemann: Teilweise mache ich Dinge öffentlich, warum etwas problematisch ist. Weil viele ja vielleicht gar nicht wissen, was sie mit ihren Worten anrichten können. Andere junge Frauen im Sport sind oft noch nicht so abgehärtet wie ich. Gerade nett gemeinte Komplimente können total daneben sein. Es gibt viele, die schreiben: Die meisten Frauen sehen ja aus wie Männer, wenn sie Muskeln bekommen, aber bei dir ist es ja noch weiblich. Das geht gar nicht. Ich finde, Muskeln haben kein Geschlecht. Und sie haben definitiv nichts mit meiner Weiblichkeit zu tun.

STANDARD: Hat sich Ihr Blick auf den Körper verändert durchs Bodybuilding?

Diemann: Definitiv. Die Objektivität zum Körper ist größer geworden, ich kann ihn mehr als Tool sehen, das sich formen lässt. Eben weil ich die volle Kontrolle über ihn erlernt habe. Auf der anderen Seite quält man den Körper schon sehr. Es tut ihm nicht gut, ständig zu wenig zu essen zu bekommen. Das muss man deutlich sagen: Wettkampf-Bodybuilding ist ein Extremsport, der in der letzten Phase nicht wirklich gesund ist.

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STANDARD: Es ist ja gerade ein großes Thema, die Schattenseiten des Leistungssports aufzuzeigen, die lange einfach totgeschwiegen wurden. Sie haben auf Ihrem Account auch thematisiert, dass durch die Mangelernährung Ihre Periode ausgeblieben ist. Ist Ihnen das schwergefallen?

Diemann: Das habe ich 2019 schon einmal gemacht, weil ich weiß, dass mir sehr viele junge Menschen folgen, denen das vielleicht nicht so klar ist, die nur die Oberfläche sehen, nur Glanz und Gloria. Deshalb wollte ich dezidiert Aufklärungsarbeit leisten. Natürlich ist das auch etwas sehr Intimes und Privates, aber auch dieser Aspekt gehört zu diesem Sport dazu. Für mich persönlich ist es schwierig, damit umzugehen. Das ist einer der Gründe dafür, warum ich überlege, nach dieser Wettkampfsaison aufzuhören. Es ist schon ein schwerwiegender Einschnitt, so lange in einem niedrigen Körperfettanteil zu bleiben. Als Mann ist es ein bisschen einfacher, weil der Körper das besser wegstecken kann.

STANDARD: Für die Wettkämpfe wird eine extreme Bräune aufgesprüht. Das wirkt mitunter wie in den 1980er-Jahren hängengeblieben. Weshalb macht man das?

Diemann: Das fragen tatsächlich immer sehr viele, und ich kann diese Verwunderung auch verstehen. Außerhalb der Bühne sieht das Tanning wirklich seltsam aus. Das ist wie im Theater, wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler Make-up tragen, das auch extremer ist als im Alltag. Wenn man keine Farbe aufträgt und eine helle Haut hat, dann schluckt das Bühnenlicht jegliche Konturen. Dann ist man nur ein weißer Fleck und kann die Muskeln nicht zeigen. Es ist wie ein Bühnenkostüm, halt ein Ganzkörper-Make-up.

STANDARD: Färbt das ab?

Diemann: Es geht, man schläft ja auch eine Nacht damit. Normalerweise trägt man am Vortag eine Schicht auf, und am Wettkampftag noch eine. Es dauert dann bis zu einer Woche, bis es sich beim Duschen abwäscht.

STANDARD: Auf Ihrem Account erfährt man viel übers Bodybuilding, aber gleichzeitig nehmen Sie auch zu politischen Diskursen Stellung. Warum?

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Diemann: Ich nehme die Menschen auf eine Reise mit, zeige, wie Bodybuilding funktioniert, aber das bedeutet doch nicht automatisch, dass ich das gesamte andere Leben ausblende. Es passieren wichtige Dinge auf der Welt, zu denen man eine Haltung haben sollte. Viele in der Bodybuilder-Bubble kippen total in diese Sportwelt rein und verlieren den Blick auf die reale Welt. Sie merken gar nicht, dass nicht alle jeden Tag ihr Eiweiß zählen und zum Sport gehen.

STANDARD: Haben Sie Vorbilder?

Diemann: Juliette Bergmann finde ich super, das ist eine Bodybuilderin aus den 1980er-Jahren. Sie hat großen Wert auf das Posing gelegt.

STANDARD: Ihr Freund ist auch Bodybuilder. Ist es leichter, wenn der Partner dasselbe Hobby hat?

Diemann: Ich glaube schon, weil das Verständnis größer ist, gerade in der extremen Phase vor dem Wettkampf. Wenn der Partner weiß, dass man sogar das Salz auf dem Essen abwiegt, dass Schlaf an erster Stelle steht und man ständig trainiert.

STANDARD: Sie wiegen Ihr Salz ab?

Diemann: Ja, gerade bereite ich mich auf einen Wettkampf vor, da ist der Wasser- und Salzkonsum enorm wichtig.

STANDARD: Denken Sie nicht manchmal: Ich schmeiße alles hin und mache eine Flasche Wein auf?

Diemann: Klar kenne ich diesen Gedanken: Mir ist alles zu viel, ich lasse es bleiben. Aber solche Momente machen 0,5 Prozent der Zeit aus. Zum Großteil überwiegt die Freude.

STANDARD: Hat sich Ihr Kleidungsstil durchs Trainieren verändert?

Diemann: Im Moment ist alles oversized, weil ich mein Fett so drastisch reduziert habe. Aber es wäre Quatsch, für die paar Wochen neue Kleidung zu kaufen. Ich habe ohnehin drei Größen im Schrank, um die Schwankungen abzufangen.

STANDARD: Was sagen eigentlich Ihre Eltern zu ihren Muckis?

Diemann: Die verstehen den Sport nicht so richtig, aber sie unterstützen mich, wo es geht. Sie waren 2019 bei meinem ersten Wettkampf dabei und haben mich angefeuert. Vielleicht hilft dieses Interview ja auch ein wenig, dass sie mehr übers Bodybuilding lernen. (Karin Cerny, RONDO exklusiv, 4.10.2021)