Das Wohnzimmer in der WG von Sebastian Menschhorn, von wo aus es in zahlreiche andere Räume geht.
Foto: Mafalda Rakoš

Der Hohe Markt ist mehr oder weniger ein Parkplatz. Umrahmt wird er von einem Würstelstand, an dem angeblich Bud Spencer eine Wurst aß, ein paar Geschäften, einem Eissalon und einer Handvoll Lokalen. Ferner gibt es einen Nobel-Billa, in dem zahlreiche russische Bling-Bling-Kunden in löchrigen Jeans die Schampus-Regale gustieren.

Mitten drin oder besser darauf steht der prächtige Vermählungsbrunnen aus dem Jahre 1732. Stündlich findet an einer Ecke des Platzes ein wenig Action statt, wenn ein Haufen Touristen das eigentlich recht fade Schauspiel der Anker-Uhr aus dem Jahre 1915 durch die Kamera ihrer Smartphones beobachten.

Dabei wandelt über ihren Köpfen zu jeder vollen Stunde eine von zwölf historischen, fast drei Meter hohen Figuren durch die Jugendstiluhr. Das Dutzend reicht von Marc Aurel bis Joseph Haydn.

Wirkliche, wenn auch ziemlich grauslige Action würde man hier sehen, stellte man die Uhr ein paar hundert Jahre zurück, als an diesem Platz Hinrichtungen aller Art stattfanden. Haute der Henker mit seinem Schwert daneben, konnte es angeblich passieren, dass der Scharfrichter von den Zuschauern gelyncht wurde.

Auch der Tod durch das Rad, durch Ertränken, oder das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen sind für diesen Platz belegt. So manche Zunge, Finger und Hände und Ohren wurden hier ebenso abgehackt und abgezwickt. Würde man die Zeiger noch weiter zurückdrehen, man fände sich im Herzstück des einstigen Vindobona. Wahrscheinlich auch keine Zeit des Honigschleckens.

Der Designer ist auf seinem Sofa "Batiki" zu sehen, das nach einer Südseeinsel benannt ist.
Foto: Mafalda Rakoš

Perfekte Bleibe

Dann doch lieber September 2021. Dann doch lieber auf einen Kaffee bei Designer Sebastian Menschhorn, der hier im neunten und obersten Stock eines Hauses aus dem Jahre 1959 wohnt. Ein kleiner Ausflug in die Geschichte muss aber noch sein: Früher stand anstelle dieses Hauses ein Palais, das von einer Bombe in Schutt und Asche verwandelt wurde. Zeugen dafür sind Szenen aus dem Film Der Dritte Mann.

Nun endlich zum gemütlicheren Teil dieses Ortes, zum Hausbesuch bei Sebastian Menschhorn. Schon wenige Augenblicke nach Betreten eines marmornen Vorraums, in welchen einen der Lift ausspuckt, wird klar: Wäre James Bond ein Wiener und würde sich sehnsüchtig nach schöner Wohnen zur Ruhe setzen, dies wäre die perfekte Bleibe für ihn.

400 Quadratmeter, die es mehr als in sich haben. Wie großzügige Schachteln greifen die Räume ineinander über. Jede Achse spielt mit der nächsten und lässt einen Durchblick nach dem anderen erkennen, als gäbe es keine abgeschlossenen Räume.

Hier regieren Tiefe, Abwechslungsreichtum und der rechte Winkel. Der wird zum roten Faden dieser Homestory. Der Schnörkel hat hier Hausverbot. Materialien, Objekte und Farben ergänzen das kantige Prunkstück. Und doch ist es eine einladende, wohnliche Strenge, die hier den Ton angibt. "Die Wohnung soll dem Charakter des Hauses entsprechen, ferner etwas Freies und Fröhliches ausstrahlen", sagt der Hausherr.

Ob unterm Feigenbaum, auf seinem blauen Sofa oder wie hier unter einem der zahlreichen anderen Bäumchen – Menschhorn hat nicht nur ein Lieblingsplätzchen.
Foto: Mafalda Rakoš

Schnörkellosigkeit

Um gut zu wohnen, solle man gut in sich hineinhören und nicht in Stereotypen denken, sagt Sebastian Menschhorn. Das Wohnzimmer mit unzähligen DVDs.
Foto: Mafalda Rakoš

Den Boden bedecken weißes Polyurethan und Perserteppiche, die großzügigen Fensterrahmen bestehen aus Travertin. Ein bisschen erinnert dieser in die Höhe gewandelte Bungalow trotz seiner Schnörkellosigkeit an eine Art stuckloses Rokoko reloaded, was Menschhorn taugt. "Mir gefällt an der Idee des Rokokos, dass sie im Geiste viel mit Aufbruch zu tun hat, auch gestalterisch. Da geht es um aufgeklärte Zugänge", erklärt er.

Stilistisch ist dieser Ort nicht jedermanns, aber vielermanns Sache. Er entspricht einem Mix aus Sixties, modernen Klassikern und Dingen, die überraschen. Menschhorn umgibt sich mit zahlreichen Porzellanstücken aus dem 18. Jahrhundert, die in zwei Bibliotheken zu finden sind, chinesischen Wandreliefs, hunderten DVDs, japanischen Lackobjekten, Designschätzchen von Panton, Eames, Jacobsen und Versatzstücken aus verschiedensten Kulturen und Epochen. Sogar ein paar antike Objekte gesellen sich dazu.

Teile seiner umfangreichen Porzellansammlung in der Bibliothek.
Foto: Mafalda Rakoš

Kleine Fluchtwelt

"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Schiller also fällt Menschhorn zu seinem Interieur ein. Und was noch? "All diese Dinge hier verwurzeln mich mit der ganzen Welt. Sowohl was Stile als auch Epochen betrifft", plaudert der Designer auf einem schneeweißen Sofa sitzend und kredenzt kleine Erdbeerchen aus eigenem Anbau.

Der Gastgeber glaubt, dass jedes Ding in einer Wohnung seinen eigenen Platz habe. Und der basiere auf einer Formel, die sich aus einem Raum und seinen Bewohnern ergibt. Das gilt auch für sein blau leuchtendes, nach einer Südseeinsel benanntes Sofa "Batiki", das unweit eines Feigenbaums steht, unter dem Menschhorn seinen Morgenkaffee einnimmt.

Eine kleine Fluchtwelt sei das Sofa. Menschhorn, der hier übrigens gemeinsam mit zwei anderen, nämlich dem Bühnen- und Kostümbildner Alexander Lintl und dem Verkäufer René Petersen, wohnt, sagt weiters: "Ich mag den Begriff WG. Das klingt nach Familie, und ich sehe uns als alternative Familie." Der Rest der Familie ist an diesem Nachmittag ausgeflogen.

City-Urwald

Man müsse beim Wohnen gut in sich hineinhören. "Denken Sie an Perserteppiche. Die können unglaublich langweilig und spießig sein. Werden sie aber richtig eingesetzt, dann sind sie eine wunderbare Angelegenheit. Und das gilt für fast alles", sagt der Gestalter, der bei Paolo Piva und Toshiyuki Kita Industrial Design an der Wiener Universität für angewandte Kunst studierte.

Der Designer bei der Arbeit, zu der neben Entwürfen aus vielen Gefilden des Designs auch seine verschiedenen Wandmalereien zählen, deren Figuren er auch in Objekte verwandelt.
Foto: Mafalda Rakoš

Viel zu viele Menschen würden in Sachen Einrichtung in Stereotypen denken und seien verunsichert. "Nehmen wir ein Beispiel her. Nichts gegen den berühmten Lounge-Chair von Eames. Aber warum bloß, will jeder dieses Möbel haben?" Wo er recht hat, hat er recht!

Die Räume, in denen der Designer lebt und arbeitet, haben es allerdings nicht nur in sich. Betritt man den großen, langgezogenen Balkon hoch über der Stadt, wähnt man sich auf einem Satelliten der Blumeninsel Mainau. In Menschhorns kleinem City-Urwald sprießen unter anderem Erdbeeren, Heidelbeeren, Äpfel, Marillen und erwähnter Feigenbaum.

Hier könnte der nächste Lockdown ruhig kommen, denkt sich der Besucher, während weit unter ihm die Hufe der Fiaker über das Pflaster klackern. Man käme in Versuchung "atemberaubend" zu schreiben, wäre der Begriff nicht so abgedroschen.

Eine der Wandmalereien heißt "Happy Garden" und zeigt eine Versammlung von Kreaturen aus Menschhorns Fantasiereich.
Foto: Mafalda Rakoš

Kaum kommen die Pupillen hier oben zur Ruhe. Kaum wissen sie, wo sie sich festhalten sollen. Am oberen Belvedere? Am Stephansdom? An einer der vielen Kuppeln der Wiener Innenstadt oder doch am Platz unten, wo Menschen wie bunte Ameisen vor einem Eissalon Schlange stehen. An klaren Tagen sieht Menschhorn bis zum Schneeberg.

Schattige Terrasse

Doch auch damit nicht genug. Auf der anderen Seite der Wohnung gibt es die gleiche Terrasse noch einmal in einer schattigen Ausführung. Hier hat das Sightseeing den Kahlenberg, die Leopoldstadt, den Donauturm und die Skyline drüben in Kaisermühlen auf dem Programm.

Die Wohnung bietet beinahe 360 Grad und den ganzen Reigen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Sternenhimmel nicht zu vergessen. Bei all dem Staunen neigt man trotzdem, kurz zu überlegen, wie lange der gute Mann hier oben jeden Tag mit Gießkannen herumrennt, aber natürlich gibt es eine Bewässerungsanlage.

Zimmer mit Aussicht gibt es bei Sebastian Menschhorn einige. Und der Balkon gleicht einem Obstgärtchen, in dem der Designer jeden Morgen zur Ernte schreitet.
Foto: Mafalda Rakoš

Über die Küche führt einen Menschhorn wie durch einen kleinen schneeweißen Irrgarten zurück in eines der beiden Schlafzimmer, vorbei an einer alten Lobmeyr-Wandleuchte deren Licht auf die rosa Wand zu perlen scheint. Das Bett steht auf scheinbar wahllos positionierten Holzzylindern, die von Baumrinde ummantelt sind und zu Menschhorns Möbelserie "Eden" gehören. "Diese Sockel geben mir ein wenig das Gefühl, als würde ich in einem Baumhaus schlafen."

Apropos Baumhaus: Vom Bett aus sieht der Designer auf wuchernde Farne, auf Flieder, Rhododendren und einiges eingetopftes Gebüsch mehr. Doch es gibt im Schlafgemach noch andere Ausblicke, die an Tarzans Bleibe hoch oben im Baum erinnern. Eine Wandmalerei aus der Feder Menschhorns zeigt auf einem Seidentuch riesige Bäume, Palmen, Vögel und Felsvorsprünge.

Hier sind asiatische Wandreliefs neben dem Kamin zu sehen.
Foto: Mafalda Rakoš

Im Badezimmer ums Eck, natürlich gibt es in dieser Wohnung zwei edle Nasszellen, findet sich eine weitere Wandmalerei. Sie trägt den Titel Happy Garden, darauf zu sehen ist eine wilde Versammlung von froschgrünen Kreaturen auf rosa Grund, die sich auch in einem Spiegel beachtlicher Größe wiederfinden.

Es handelt sich um fiktive Wesen, die an einäugige Tintenfische, Blumen mit Mündern und auch ein wenig an Keith Haring denken lassen. Menschhorn hat diese Kreaturen ebenso in bunte dreidimensionale Porzellanfiguren in seinem Arbeitszimmer übersetzt. "Die Kreaturen sind einfach, sie spielen und scheren sich nicht darum, wie sie aussehen."

Keine Lieblingsfarbe

Überhaupt sind Farben im Reich Menschhorns ein großes Thema, auch wenn er keine Lieblingsfarbe nennen mag. "Die Wahl der richtigen Farbe hängt vom Kontext ab, von Räumen und Stimmungen. Farben verändern sich im Licht."

Also überziehen Rosa, Gelb, Grün und so manch anderes, was der Farbmalkasten hergibt, die Wände. "Farbe bekennen, dieser Spruch bedeutet doch etwas", sagt der 1971 in Wien Geborene und prangert die Mode an, Räume in beige oder grau zu streichen: "Da schlafen dir doch die Füße ein".

Hier ist der Salon, gleich neben der Küche der Wohnung zu sehen. Auch in diesem Raum finden sich so manche Gustostückln aus der Welt des Möbeldesigns und der Keramik.
Foto: Mafalda Rakoš

Außerdem sei bekannt, dass fahle Farben depressive Stimmungen fördern und den Körper runterfahren lassen. "Farben hingegen tun gut, machen Lust. Manchmal habe ich das Gefühl, ich gehe durch einen Regenbogen", sagt der Gestalter, der die Wohnung auch als Versuchslabor für seine eigenen Objekte sieht.

Es geht ihm in seinen eigenen wer weiß, wie vielen Wänden um ein Spielen, um ein Erforschen der Wirkung seiner Vasen, Gläser, Schmuckstücke, Möbel, die er unter anderem für Lobmeyr, Backhausen, Augarten, Moser-Glas oder Köchert entwarf.

Menschhorn, der sich als angewandter Künstler sieht, fordert von seinen Objekten beim gemeinsamen Zusammenleben eine Bestätigung ein. Eine Bestätigung, dass sie das Zeug dazu haben, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Nichts mehr und nichts weniger.

Auch darum fällt ihm, umgeben von all den Dingen, Farben und Epochen das Wort Paradies ein. Zudem gehören natürlich auch jede Menge Paradiesvögel. Bei Menschhorn sind sie unter anderem in Form von unzähligen Papageien aus Porzellan gelandet. Und ein Stück weit wohl auch in Form von ihm selbst. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 4.10.2021)