Ein Bild einer Übung am Grenzübergang Nickelsdorf im Burgenland.

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Über den Sommer wurde der Grenzeinsatz an der österreichisch-ungarischen Grenze bekanntlich deutlich verstärkt: Die Zahl der Soldaten wurde von 600 auf 1.000 aufgestockt, auch verrichten mehr Polizistinnen und Polizisten an den Übergängen ihren Dienst. Allerdings nicht nur dort: Laut einem Bericht des Ö1-"Morgenjournal" waren seit Anfang September bei Schwerpunktaktionen jeweils rund 30 österreichische Polizeibeamte an den ungarischen Hauptverkehrsrouten im Einsatz – mit Uniform und Waffe, allerdings im Zivilfahrzeug. Im Innenministerium spricht man von "gemischtem Dienst" zusammen mit den Ungarn.

Was die heimischen Polizeibeamten in Ungarn dürfen

Ö1 liegt der Dienstbefehl für den Einsatz vor, aus dem auch die rechtliche Grundlage dafür ersichtlich ist: Der Prümer Vertrag von 13 EU-Staaten und ein Kooperationsvertrag zwischen Österreich und Ungarn, wonach ein gemischter Streifendienst zur Verhinderung von Straftaten möglich ist. Die Polizistinnen und Polizisten dürfen in Ungarn Personen anhalten, deren Identität feststellen, Kleidung und Gepäck durchsuchen – andere Maßnahmen und Zwangsmaßnahmen sollen dann laut Vertrag die ungarischen Behörden durchführen, außer es sei der Erfolg der Amtshandlung gefährdet.

Laut dem Bericht gehen die Möglichkeiten der heimischen Polizeibeamte aber noch weiter: Zwei von ihnen sitzen in einem Auto, allerdings ohne ungarischen Kollegen oder Kollegin. Im ungarischen Einsatzbefehl steht demnach außerdem, dass die österreichischen Polizistinnen und Polizisten Fahrzeuge und Menschen selbstständig zu verfolgen haben und Menschengruppen selbstständig anhalten können, gegebenenfalls mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen. In solchen Fällen muss jedoch die ungarische Einsatzzentrale verständigt werden. Schusswaffen dürfen nur bei Notwehr eingesetzt werden, eine Schreckschussabgabe ist nicht erlaubt. Handelt es sich dann überhaupt um einen gemischten Dienst? Laut Innenministerium schon, denn das Kommando liege ja bei den Ungarn.

Woher die Migrantinnen und Migranten kommen

Gerald Tatzgern, der Leiter des Büros zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schlepperei im Bundeskriminalamt, spricht von "punktuellen Rückgängen" bei den Aufgriffen in Österreich seit dem Start der Zusammenarbeit. Wie viele Schlepper konkret angehalten wurden, sei schwer zu beziffern, da es allein in Ungarn dieses Jahr 70.000 Aufgriffe gegeben habe. Der Einsatz solle die Schlepper jedenfalls stören, allerdings seien diese auch "sehr, sehr gut" im Ausspähen von Polizeiaktionen. Tatzgern vermutet, dass auch Drohnen zum Einsatz kommen. "Egal welche Aktion wir setzen, es kommt sofort eine Reaktion."

Unterwegs seien derzeit vor allem Syrerinnen und Syrer, aber auch Afghanen und Afghaninnen. Es seien Migranten, die sich aus dem Westbalkan "entleeren", wie Tatzgern sagt. Der Migrationspakt mit der Türkei halte zwar ausgezeichnet, allerdings merke man auch, dass der Druck auf die Türkei wieder zunehme. Pro Woche kommen derzeit laut Innenministerium zwischen 500 und 900 Asylsuchende über die Grenze ins Burgenland. Seit dem Start des gemischten Dienstes habe man beobachtet, dass sich die illegalen Grenzübertritte von Nickelsdorf in das südliche Burgenland verlagern.

Laut der Asylstatistik des Innenministeriums kamen zwischen Jänner und Juli dieses Jahres 5.655 Anträge von Menschen aus Syrien, 2.514 Antragstellerinnen und Antragsteller kamen in dem Zeitraum aus Afghanistan, 805 aus Marokko, 656 aus Somalia und 511 aus dem Irak. In Summe gab es zwischen Jänner und Juli 13.653 Anträge – 94 Prozent waren Erstanträge. 81 Prozent der Antragsteller waren männlich.

Ungarn für Behandlung von Geflüchteten in der Kritik

Für die Aussage, dass sich der Westbalkan "entleere", wurde Tatzgern umgehend kritisiert – unter anderem von der SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz. "Ich bin es leid, dass ich mich wieder mal in der Früh über die menschenverachtenden Anschauungen eines österreichischen Spitzenbeamten ärgern muss. Denn nur so kann man diese Aussage im heutigen Morgenjournal nennen", schrieb sie auf Twitter.

Ungarn wurde bereits mehrmals vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die Art und Weise, wie Geflüchtete behandelt wurden, verurteilt – etwa im Dezember 2020, weil die ungarische Regierung Flüchtlingen die Beantragung von Asyl auf unzulässige Weise erschwere, sie in geschlossenen, gefängnisartigen "Transitzonen" festhalte und Migranten ohne weitere Verfahren hinter die Grenze zurückschicke, wie es in der Entscheidung hieß. Obwohl diese speziellen Transitzonen Mitte vergangenen Jahres eingestellt wurden, gingen illegale Pushbacks nach Serbien laut Nichtregierungsorganisationen weiter. (Lara Hagen, 28.9.2021)