Er war in etwa so nüchtern wie seine Trägerin. Nur im Detail unterschieden sich Angela Merkels Blazer: Es wechselten die Farbe, der Halsausschnitt (Rundhals, mit Revers, ohne Revers), die Taschen (Pattentaschen, aufgesetzte Taschen) oder die Verschlüsse (mal wird er mit drei, ein andermal mit vier Knöpfen geschlossen). Die Grundlage jedes öffentlichen Auftritts der deutschen Kanzlerin war und blieb aber das Modell "schlichter Longblazer". Es war auch diese Gleichförmigkeit, die ihn unverwechselbar machte.

Nun geht die deutsche Kanzlerin, und mit ihr die regenbogenfarbene Blazer-Sammlung. 16 Jahre lang stand das Kleidungsstück im Licht der Öffentlichkeit. Man muss sagen, es funktionierte einwandfrei. Der Blazer signalisierte Kontinuität wie Uneitelkeit – und er stand seiner Trägerin nie im Weg. Für Merkels Auftritte seit ihrem Antritt als Bundeskanzlerin zuständig: die Hamburger Designerin Bettina Schoenbach. "Ich möchte niemanden verkleiden, sondern die Persönlichkeit unterstreichen", viel mehr war von ihr in den vergangenen Jahren nicht über die Kleider der Kanzlerin zu hören. Günstig sind sie jedenfalls nicht: Ein Schoenbach-Blazer kostet auf der Website mehr als 1.200 Euro.

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Zum Amtsantritt am 22. November 2005 wählte Merkel seriöses Schwarz. Zu dieser Farbe griff sie später nur bei Anlässen, die Zurückgenommenheit wie Ernsthaftigkeit verlangten.
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Wenn er wollte, konnte der Merkel-Blazer auffallen: Die Bundeskanzlerin in Rot während eines CDU-Parteitags 2016 in Essen.
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Auch andere hätten hier und da besser geschwiegen: Karl Lagerfeld bot Merkel noch Beratung in Stilfragen an, mit der Zeit aber wurden die Kommentare zu ihren Outfits weniger. Vielleicht ist es die größte Leistung von Angela Merkels Blazern, mit ihrer selbstverständlichen Präsenz den Zeitgeist verändert zu haben. Wortmeldungen der Lagerfeld'schen Art erscheinen heute jedenfalls so unpassend wie die Bezeichnung der kinderlosen Kanzlerin als "Mutti".

Es setzte sich die Erkenntnis durch: Wie die Kollegen in ihren dunklen Anzügen hat auch eine Politikerin das Recht auf eine Uniform. Und selbstverständlich hat sie wie viele ihrer männlichen Kollegen das Recht, sich über Mode nicht den Kopf zu zerbrechen.

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Um sich von Bischof Georg Bätzing in Berlin zu verabschieden, rollte Angela Merkel im September in Taubenblau an.
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"Mein Outfit ist überschaubar", erklärte Merkel denn auch, als sie zuletzt mit der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zusammentraf. Das mag sein, obwohl sich die Kanzlerin bei einem Goldschmied aus Idar-Oberstein regelmäßig mit Halsketten eindeckte.

Dieser Blazer kann auch einmal im Hintergrund stehen: Angela Merkel im Vogelpark.
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Der Blazer jedenfalls entpuppte sich rückblickend als probates Kleidungsstück für die Langstrecke. Das lässt sich auch an der zunehmenden Begeisterung für die nüchternen Auftritte der deutschen Politikerin ablesen.

"Da passen Stil und Amt fantastisch zusammen", meinte Wolfgang Joop im Jahr 2018. "Sie wirkt auf mich wie jemand, die weiß, wer sie ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie versucht, sich zu verstellen", erklärte "Vogue"-Chefin Anna Wintour 2019 gegenüber dem "Zeit Magazin". Wie gut, dass Angela Merkel solche Kommentare immer wurscht waren. (Anne Feldkamp, 29.9.2021)