Die Weltwirtschaft kämpft sich aus dem Corona-Schock. Lieferengpässe, hohe Energiepreise und verteuerte Rohstoffe dämpfen jedoch die Erholung. Nun steht der nächste Corona-Winter bevor, der wegen der Delta-Variante die Erholung noch einmal ordentlich gefährden könnte. Was bedeutet das alles für Aktien und Anleihen? Wie reagieren die Notenbanken, und welchen Ausblick geben Marktexperten? Das alles war Thema bei der Diskussion "Fährt die Wall Street gegen die Wand" der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft, die DER STANDARD live gestreamt hat.

Zu Beginn der Debatte stand aber die Frage, was der Wahlausgang in Deutschland für die Börsen bedeutet. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank und Mitglied im Schattenrat der EZB, betonte, dass mit dem Ende der Ära Merkel den Konservativen die Luft ausgeht. Nun werde spannend, welche Koalition sich ergebe. Die gute Nachricht in dem Wahlergebnis liegt laut Krämer darin, dass wohl die liberale FDP in eine Koalition geholt werden wird, die "pro markets" ist, während die Grünen Dinge über staatliche Interventionen verändern wollen.

Spannende Koalitionsverhandlungen

Zu 80 Prozent glaubt Krämer, dass die SPD eine Koalition bilden wird mit den Grünen und den Liberalen. Leicht würden die Verhandlungen aber nicht, weil die Liberalen beim Thema Wirtschaftspolitik Ideen haben, die sich von denen der Sozialdemokraten stark unterscheiden. So wollen Grüne und Sozialdemokraten etwa die Mindestlöhne auf zwölf Euro pro Stunde anheben, eine Reichensteuer einführen und die Einkommensteuern erhöhen.

Während in Deutschland also in den nächsten Wochen koaliert wird, stehen die USA vor ganz anderen Sorgen. Dort steht erneut ein Shutdown im Raum, weil um die Schuldengrenze wieder einmal gestritten wird. Davide Andaloro, Executive Director of Market Strategy bei Goldman Sachs Asset Management, unterstrich die Dringlichkeit in dieser Causa. Finanzministerin Janet Yellen hat vor "katastrophalen Folgen" gewarnt, wenn die Schuldengrenze nicht angehoben wird. Heikel ist die Lage deswegen, weil die USA ein Infrastrukturprogramm in der Höhe von einer Billion Dollar umsetzen wollen. Das Timing und das Volumen des Programms könnten daher wackeln. Andaloro glaubt aber daran, dass die Situation gelöst werden wird. Für das Wirtschaftswachstum in den USA zeigt sich der Marktexperte zuversichtlich. Die Fundamentaldaten seien in Ordnung. Wenn die US-Notenbank Fed beginnt, Liquidität aus dem System zu ziehen, wird die Volatilität an den Märkten wohl zunehmen. Aber trotz dieses aufkommenden Schluckaufs der Märkte bleibt der Outlook für Aktien positiv.

Folgen der Pandemie

Die Erholung der Weltwirtschaft leidet nach wie vor unter der Pandemie und den damit verbundenen Themen wie Lieferengpässe, gestiegene Rohstoffpreise und hohe Inflation. Könne es in diesem Zusammenhang zu einer Stagflation (also kein Wirtschaftswachstum gepaart mit hoher Inflation) kommen wie in den 1970er-Jahren, fragte Monika Rosen, Vizepräsidentin und Börsenspezialistin der ÖAG. "Stagnation ist derzeit kein Thema", sagt Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International. Denn die Bruttoanlageninvestitionen hätten auch in den Phasen des Lockdowns zugenommen, auch der Bausektor habe sich stabil entwickelt. Das treibe die Wirtschaft an, auch der private Konsum werde aufholen.

Spannend werde in diesem Zusammenhang, was bei den Lohnverhandlungen – wie sie derzeit in Österreich bei den Metallern laufen – herauskommen werde. Krämer glaubt auch nicht an eine Stagflation. Im vierten Quartal werde es wohl zu einem abgeschwächten Wachstum kommen, und die Inflation werde noch etwas ansteigen. Aber das werde nur das vierte Quartal betreffen. Schon im kommenden Jahr werde die Inflation wieder sinken. Nur wenn es am Arbeitsmarkt wieder eng werde, werde die Inflation zum Problem. Dann glaubt der Commerzbank-Experte aber auch nicht an eine Stagflation – dann sieht er eine Rezession als das möglichere Szenario an.

Trotz aller Fragezeichen im Zuge der Erholung zeigt sich Andaloro optimistisch für Aktien. Ja, die Volatilität werde zunehmen aufgrund der offenen Fragen. Aber die Rallye bisher war getrieben durch die Gewinne der Unternehmen. Auch die Stimuli der Regierung haben geholfen. An Aktien führe kein Weg vorbei, wenn man dem niedrigen Zinsniveau entkommen möchte. Allerdings muss man in der Zukunft mit einer etwas schwächeren Performance rechnen. Brezinschek ergänzt hier, dass die Fundamentaldaten und die Gewinnsituation gut sind, aber dass es einige Probleme gebe – wachsende Ungleichheit, soziale Unsicherheit, Klimakrise, kombiniert mit möglichen Steuererhöhungen –, das werde viele Unternehmen fordern, und das könnte man auch am Markt spüren. Doch auch er sagt, wer Rendite erzielen will, kommt an Aktien nicht vorbei. (Bettina Pfluger, 29.9.2021)