Die Polizei habe kein Recht gehabt, die Familie mit Drohungen zu zwingen, die Instagram-Postings zu entfernen.

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Mitte März 2020 begab sich die 16-jährige Amyiah Cohoon aus dem US-Bundesstaat Wisconsin mit ihrer Schulband auf eine Reise zu verschiedenen Vergnügungspark in Florida. Nach ihrer Rückkehr plagte sie ihre Gesundheut. Sie bekam Fieber und litt an einem trockenen Husten. Zweimal musste sie wegen einer schweren Infektion der oberen Atemwege ins Krankenhaus.

Wenngleich sie auch nicht unmittelbar auf das Coronavirus getestet wurde, sagten Ärzte, dass ihre Symptome dem typischen Verlauf einer Covid-19-Infektion entsprächen. Erst später wurde ein Test nachgeholt. Das Ergebnis war negativ, laut den Ärzten könnte aber einfach das Zeitfenster, in dem eine Infektion sich so nachweisen lässt, verpasst worden sein.

Während ihrer gesundheitlichen Probleme setzte sie zwei Postings auf Instagram ab. Im ersten beschrieb sie, wie es ihr ging und dass sie dazu verpflichtet worden sei, sich wegen einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 in Quarantäne zu begeben. Und bei einem ihrer Spitalsbesuche veröffentlichte sie ein Foto, das sie mit einer Sauerstoffmaske zeigte. An diesem Tag hatte sie wegen Atemschwierigkeiten im Krankenhaus übernachtet. Sie habe das Virus "besiegt", schrieb sie und riet ihren Followern, vorsichtig zu sein.

Polizist drohte mit Inhaftierung

Ihre Beiträge sorgten für besorgte Anrufe bei den Gesundheitsbehörden des Bezirks, Marquette, in dem es zu diesem Zeitpunkt noch keinen offiziell dokumentierten Covid-Fall gegeben hatte. Die Verantwortlichen delegierten die Angelegenheit wiederum an die Dienststelle des Sheriffs. Dort entschied man sich für ein wenig zimperliches Vorgehen, fasst der "Guardian" zusammen.

Ein Beamter wurde beim Haushalt der Cohoons vorstellig und teilte ihren Eltern mit, dass die Postings entfernt werden müssten. Andernfalls drohe eine Anzeige wegen Ordnungsverstößen. "Oder wir müssen vielleicht jemanden ins Gefängnis mitnehmen", wird aus dem Gespräch zitiert. Die junge Frau löschte ihre Postings. Die Schulbehörde kontaktierte zudem die Eltern und beschrieb ihre Instagram-Einträge als "albernen Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen".

Gericht sieht Vorgehen als Zensur

Der Teenager und seine Eltern entschieden schließlich, Klage gegen das Sheriffbüro zu erheben, dem sie die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit gemäß des ersten Zusatzes der US-Verfassung vorwarfen. Vor kurzem erließ nun das Bezirksgericht in Milwaukee ein Urteil in der Causa. Richter Brett Ludwig erblickte im Vorgehen der Polizei in der Tat eine Verletzung der Meinungsfreiheit und warf den Behörden Zensur vor.

"Zensur als gesellschaftlich vorteilhaft darzustellen macht sie nicht legal", schrieb er in der Urteilsbegründung. "Wäre dem so, dann würde so gut wie jede Form der Zensur die Vorgaben des ersten Verfassungszusatzes umgehen." Auch sonst sparte er nicht mit Kritik. Die Behörden hätten es wohl lieber vorgezogen, die Einwohner des Bezirks noch länger nicht über die Gefahr möglicher Covid-Infektionen in ihren Gemeinden zu informieren, um sich nicht mit Anrufen besorgter Einwohner befassen zu müssen. Doch diese Vorliebe gebe ihnen kein Recht, "unangenehme" Instagram-Postings zu suchen und löschen zu lassen. Auch wenn Social-Media-Postings oft grammatisch eigenwillig und kurz seien, seien sie dennoch von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Der Anwalt der Familie gab sich gegenüber der "Washington Post" erleichtert. Das Urteil sei ein starkes Signal dafür, dass die Polizei nicht einfach in sozialen Netzwerken patrouillieren könne. Die Jugendliche selbst erklärte, dass sie mit ihren Postings keine Angst schüren, sondern nur über ihre Erkrankung informieren wollte und dass sie erkrankt war, da sie damals mit vielen anderen Menschen in Kontakt gewesen sei. (gpi. 29.9.2021)