Die vielbeschworene Krise der politischen Linken ist abwendbar, sagt der Politikwissenschafter Manès Weisskircher im Gastkommentar.

Wie kann die politische Linke gedeihen?
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Der Zustand politischer Kräfte links der Mitte kann hierzulande, vorsichtig ausgedrückt, als verbesserungswürdig bezeichnet werden. Während die Grünen erwartungsgemäß damit zu kämpfen haben, ihre politischen Vorstellungen in einer Koalition mit der ÖVP durchzusetzen, schafft es die SPÖ als größte Oppositionspartei kaum, die politische Agenda zu bestimmen. Jenseits von SPÖ und Grünen konnte sich in Österreich, im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern, ohnehin nie eine linke Kraft etablieren. Stattdessen prägt die Stärke der FPÖ seit langem das politische System.

Die beschriebenen Entwicklungen sind jedoch keine Naturgesetze. Das Beispiel der KPÖ Graz zeigt, dass linke Akteure selbst unter schwierigen Ausgangsbedingungen nachhaltigen Erfolg erzielen können. 1983 war die Partei mit 1,8 Prozent am Tiefpunkt angelangt – am Sonntag erhielt sie die Unterstützung von 28,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Bereits seit 2003 erreichte die KPÖ bei jeder Gemeinderatswahl mehr Stimmen als die FPÖ. Der elektorale Aufstieg ging mit der Durchsetzung einer Reihe an politischen Maßnahmen einher. Dennoch blieb der Erfolg der Partei außerhalb der immerhin zweitgrößten Stadt des Landes von vielen unbeachtet. Spätestens seit dem Wahlsieg am Sonntag steht jedoch abermals die Frage im Raum, inwiefern linke Akteure in Österreich Lehren aus dem Beispiel Graz ziehen können.

Keine Blaupause

Mit Sicherheit liefert keine politische Erfolgsgeschichte eine Blaupause für effektive politische Strategien. Zu unterschiedlich sind Ausgangsbedingungen, Missstände und Präferenzen von Ort zu Ort und auf den unterschiedlichen politischen Ebenen. Dennoch verweist der Aufstieg der KPÖ Graz auf die Bedeutung langfristiger politischer Arbeit und des Besetzens und Bearbeitens von Themen, die für große Teile der Bevölkerung von tagtäglicher Relevanz sind. Das mag auf den ersten Blick banal klingen. Jedoch geht eine solche Perspektive über kurzfristige Faktoren hinaus, die in der politischen Debatte regelmäßig überbetont werden: Politische Labels, Wahlkampagnen, Hochglanzbroschüren oder vermeintlich charismatische Spitzenkandidatinnen und -kandidaten mögen für nachhaltigen Erfolg nicht so ausschlaggebend sein wie oftmals vermutet.

Stattdessen ist der Aufstieg der KPÖ Graz mit dem langfristigen Erarbeiten politischer Glaubwürdigkeit verbunden. Dies betrifft sowohl die Umsetzung inhaltlicher Ziele, zum Beispiel, aber nicht ausschließlich im Bereich der vielzierten Wohnpolitik, als auch das Verständnis von politischer Repräsentation, sichtbar beispielsweise in der intensiven Sprechstundenarbeit. Das dauerhafte Verfolgen einer solchen Politik verlangt harte politische Arbeit. Dazu gehören die intensive Auseinandersetzung mit möglicherweise mäßig spannenden Themen, wie die feinen Details des Mietrechts, zeitliche Überbeanspruchung, unangenehme Gespräche über akute Probleme, die konstruktive Lösungen verlangen, und das Suchen oder Sich-Erarbeiten von Handlungsspielräumen zur Umsetzung politischer Ziele. Und das alles nicht nur im Rahmen von Wahlkämpfen.

Kleine Schritte

Ein solch lösungsorientierter Ansatz verlangt keine Abkehr von politischen Maximen. Gerade im Bereich der Wohnpolitik scheinen weite Teile der Bevölkerung staatliche Intervention und Regulierung sowie politische Unterstützung zu befürworten. Das bedeutet im Regelfall eine Politik vieler kleinerer und größerer Schritte – wie im Fall der KPÖ Graz der Mieternotruf, finanzielle Unterstützung bei Rechtsstreitigkeiten, der Kautionsfonds, die Renovierung von Substandardwohnungen und, am schwierigsten zu erreichen, die Schaffung neuer Gemeindewohnungen. Ein Fokus auf das Thema Wohnen lässt sich also auch mit den Grundpfeilern linker Politik verknüpfen, nämlich mit dem, was der Wirtschafts- und Sozialwissenschafter Karl Polanyi als Dekommodifizierung bezeichnet hat: dem Schutz vor der Abhängigkeit von Marktmechanismen.

Ein anderes Prinzip linker Wirtschaftstheorie ist im politischen Wettbewerb jedoch weniger bedeutend: Nachfrage schafft sich nicht zwingend ein Angebot. Eine große politische Verantwortung liegt daher auf der Schaffung eines effektiven langfristigen politischen Ansatzes. Wenn linke Parteien daran scheitern, sind nicht die Wählerinnen und Wähler schuld, sondern dann ist Selbstkritik angesagt. Für die Vielzahl an linken Akteuren in Österreich, ob in Parlamenten oder auf der Straße, zeigt der Aufstieg der KPÖ also primär: Die vielbeschworene Krise der politischen Linken ist abwendbar. Selbst unter ungünstigen Bedingungen können politische Akteure erfolgreich daran arbeiten, Handlungsspielraum zu gewinnen, um Zustimmung zu erreichen und politische Ziele durchzusetzen. (Manès Weisskircher, 29.9.2021)