Die heutige ÖBB-Immobilienverwaltungszentrale in der Nordbahnstraße in Wien...
Foto: Klaus Taschwer

Heute beherbergt der mächtige fünfstöckige Bau, mit dessen Errichtung vor genau 150 Jahren begonnen wurde, die Verwaltungszentrale der Österreichischen Bundesbahnen. Ursprünglich war das Gebäude nahe dem Praterstern in Wien und schräg vis-à-vis dem ehemaligen Nordbahnhof aber eines der größten und feineren Hotels der Stadt. Noch weniger bekannt ist, dass mit diesem ehemaligen Hotel Donau eine Geschichte verbunden ist, die im 19. Jahrhundert vorwegnahm, was im März 2020 im Tiroler Wintersportort Ischgl passierte.

Das Gebäude mit der Adresse Nordbahnstraße 50 wurde Ende April 1873, kurz vor der Eröffnung der Weltausstellung am 1. Mai 1873, fertiggestellt. Die internationalen Gäste, die dort logierten, hatten es nicht weit zu den internationalen Attraktionen im Prater. Eine der Besucherinnen war die gebürtige Britin Anna-Maria Brewster, die im Juni ankam und Wien nicht mehr lebend verlassen sollte. Denn im Hotel, das sein Wasser über einen Brunnen bezog, war wegen eines gebrochenen Abflussrohrs Ende Juni die Cholera ausgebrochen.

...war ursprünglich eines der mondäneren Hotels der Stadt.
Foto: Allgemeine Bauzeitung, 1873 / Wikimedia, gemeinfrei

Versuchte Vertuschung

Zwar versuchten einige heimische Medien noch kurz zu mauern und versicherten, dass "keine epidemische Krankheit in Wien existiere". Doch nachdem die Times in London groß über den Todesfall berichtet hatte, ließ sich nicht mehr vertuschen, dass sich die gefürchtete Seuche in der Reichshauptstadt ausgebreitet hatte.

Auch wegen der Choleraepidemie wurde die Weltausstellung zu einem beispiellosen Fiasko, das vermeidbar gewesen wäre, wenn sich ein Megaprojekt nicht immer wieder verzögert hätte: Eduard Suess, Österreichs bedeutendster Geologe, und der ab 1868 amtierende Bürgermeister Cajetan Felder wollten mit dem Bau der Hochquellenwasserleitung nach Wien die prekäre Wasserversorgung und die katastrophalen hygienischen Bedingungen verbessern.

Befürworter und erbitterte Gegner

Medizinisch unterstützt wurden die beiden unter anderem von Josef Skoda und Carl Rokitansky, den beiden Protagonisten der Zweiten Wiener Medizinischen Schule. Doch sie hatten auch einflussreiche Gegner wie den gewieften Geschäftsmann und Zeitungsbesitzer August Zang, der die Fischa für die Wiener Wasserversorgung anzapfen und damit reich werden wollte.

Alexander Bartl, "Walzer in Zeiten der Cholera. Eine Seuche verändert die Welt". € 24,95 / 392 Seiten. HarperCollins, Hamburg 2021

All das und noch viel mehr hat der aus Wien stammende und in Berlin lebende Journalist Alexander Bartl minutiös rekonstruiert und in seinem Buch "Walzer in Zeiten der Cholera" überaus kurzweilig mit viel Liebe zum Detail aufbereitet. Seine gelungene wissenschafts- und kulturhistorische Studie über die Gründerzeit zeigt aber auch, wie in Wien mehr als 150 Jahre vor der Corona-Pandemie Wissenschafter, Mediziner Politiker und die Öffentlichkeit über Hygienemaßnahmen zur Epidemieabwehr stritten, und zwar nach ganz ähnlichen Mustern wie heute: Während die Forscher für nachhaltige Maßnahmen – wie eben den Bau der I. Wiener Hochquellenwasserleitung – eintraten, liefen viele Vertreter der Politik und der Medien Sturm dagegen.

Vergeblicher Schlusssprint

Schließlich konnte sich doch die Vernunft durchsetzen. Doch obwohl man in einem Schlusssprint alles versuchte, mit der 90 Kilometer langen und 16 Millionen Gulden teuren Wasserleitung vor der Eröffnung der Weltausstellung und dem befürchteten Eintreffen der Cholera fertig zu werden, ging dieses Wettrennen knapp verloren: Der Hochstrahlbrunnen in Wien, Endpunkt der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung, konnte erst am 24. Oktober 1873 eröffnet werden. Das war genau eine Woche vor dem Ende der Weltausstellung.

Deren Defizit war auch wegen der Cholera mit 15 Millionen Gulden in etwa so hoch wie die Kosten der Wasserleitung, die nicht nur dazu beitrug, die Seuche aus Wien zu verbannen, sondern bis heute exzellentes Wasser in die Bundeshauptstadt transportiert. Das Hotel Donau hingegen musste bald nach der Weltausstellung Konkurs anmelden.

Sammelsurium guter Geschichten

Thomas Hofmann / Mathias Harzhauser, "Wiener Naturgeschichten. Vom Museum in die Stratosphäre". € 36,– / 233 Seiten. Böhlau, Wien 2021

Eine Würdigung von Eduard Suess und Cajetan Felder findet sich auch im neuen Buch, das Thomas Hofmann und Mathias Harzhauser verfassten. Das produktive Autorenduo aus dem Bereich der Geowissenschaften – Hofmann ist Archivar an der Geologischen Bundesanstalt und Harzhauser Leiter der geologischen und paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien – hat einen weiteren Band mit durchwegs interessanten und zum Teil noch unbekannten "Wiener Naturgeschichten" zusammengetragen.

Ein Kapitel des üppig illustrierten Sammelsuriums an Fakten und Anekdoten aus der Wissenschaftsgeschichte Wiens ist nämlich auch den Forschern in der Wiener Politik gewidmet. Und dazu gehört nicht nur Altbürgermeister Michael Häupl, ein promovierter Herpetologe, sondern auch Cajetan Felder, der nebstbei einer der führenden Schmetterlingsforscher und -sammler Europas war. Eduard Suess saß als Abgeordneter der Liberalen im Niederösterreichischen Landtag. Und alle drei haben der Stadt ziemlich gutgetan. (Klaus Taschwer, 29.9.2021)

Büste des Geologen Eduard Suess auf dem Schwarzenbergplatz in Wien. Das Denkmal steht neben dem Hochstrahlbrunnen, der Teil der von Suess konzipierten I. Wiener Hochquellenwasserleitung ist.
Foto: Lois Lammerhuber