"Was oft übersehen wird: Täterarbeit ist auch wegen der anderen Familienmitglieder und vor allem wegen der Kinder essenziell", sagt Michaela Gosch.
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Wer ein Betretungs- und Annäherungsverbot durch die Polizei erhält, muss zur Beratung. Seit vier Wochen gilt die verpflichtende sechsstündige Beratung für sogenannte Gefährder. Michaela Gosch ist Geschäftsführerin der Frauenhäuser Steiermark und sagt nach einem dreijährigen gemeinsamen Praxisprojekt mit der Männerberatung Graz und den Verein Neustart sowie langjähriger Erfahrung im Opferschutz: Täterarbeit ist aus der Gewaltprävention nicht wegzudenken.

STANDARD: Wie ist eigentlich opferschutzorientierte Täterarbeit genau?

Gosch: Opferschutzorientierte Täterarbeit ist Arbeit mit Tätern, die mit dem Ziel durchgeführt wird, das Opfer zu schützen. Basis dafür ist, dass sich die Opferschutzeinrichtungen und die Täterarbeitseinrichtungen fallbezogen vernetzen dürfen. Für Täterarbeit gibt es verschiedene Ansätze. Einer ist, dass man mit dem Täter auf Basis von Freiwilligkeit und Vertraulichkeit daran arbeitet, dass er von sich aus sein Verhalten ändert. Die opferschutzoriente Täterarbeit hat einen anderen Ansatz: Durch die Zusammenarbeit der Täterarbeits- und Opferschutzeinrichtung bekommt man ein besseres Bild im Hinblick auf die Gefährdungslage. Bei diesem Ansatz der Täterarbeit geht es auch darum herauszufinden, wie man gemeinsam den Schutz des Opfers erhöhen kann. Das höchste Gut ist also der Schutz des Opfers. Das Problem an dem jetzigen Gesetz ist allerdings, dass sich Einrichtungen für Täterarbeit und Opferschutzeinrichtungen nur dann austauschen dürfen, wenn der Gefährder dem Datenaustausch zustimmt.

STANDARD: Das heißt, der Gefährder entscheidet im Grunde, ob opferschutzorientierte Täterarbeit passieren kann?

Gosch: Ja, opferschutzorientierte Täterarbeit hat zur Bedingung, dass man sich austauschen darf, das ist aber derzeit aufgrund der Datenschutzlage nicht ohne weiteres möglich, außer bei den Hochrisikofällen. Wenn Gefahr im Verzug ist, dann braucht man keine Zustimmung zur Vernetzung. Bei den anderen Fällen sind wir aber auf den guten Willen des Gefährders angewiesen. Das ist der Wermutstropfen an dem Gesetz, wie es jetzt ist. Ansonsten begrüßen wir es. Auch dass die geforderte Aufstockung von drei auf sechs Stunden umgesetzt wurde und dass der Gefährder nicht – wie ursprünglich im Gesetz festgelegt – die Beratungskosten selbst übernehmen muss, sondern der Staat bezahlt. Wir denken, dass das wesentlich dafür ist, dass das Beratungsangebot bestmöglich genutzt werden kann.

STANDARD: Warum halten Sie Täterarbeit für so wichtig?

Gosch: Ungefähr 30 Prozent der Frauen, die zu uns kommen, gehen wieder zurück zum Täter. Die Annahme, dass Frauen, die ins Frauenhaus kommen, für immer die Gefährder verlassen, stimmt einfach nicht. Das ist allein in Hinblick auf gemeinsame Obsorge für Kinder illusorisch.

Nachhaltige Gewaltprävention gibt es deshalb nur, wenn auch mit dem Täter gearbeitet wird – sonst fehlt ein wesentlicher Teil. Die Zahlen aus der Steiermark zeigen, dass Frauen vor allem in den ersten zwei, drei Wochen, nachdem sie ins Frauenhaus gekommen sind, enorm ambivalent sind und am ehesten in dieser Phase zurückgehen. Diesen Frauen kann man nun eine zusätzliche Perspektive anbieten, nämlich dass auch die Gefährder bei einer Beratungsstelle andocken können, um dort eine Erstberatung zu machen. Und dass man dann auf Basis des Austausches mit der Beratungsstelle die Gefährdung, wenn die Frau tatsächlich zurückgehen will, besser einschätzen kann. In der Steiermark gibt es im Rahmen eines eigenen Projekts auch die Möglichkeit, die Rückkehr durch Klärungsgespräche weiter zu begleiten. Die Basis dafür ist aber, dass die Gefährdungslage es zulässt und es eine Verantwortungsübernahme gibt. Wenn der Gefährder sagt, alles nicht wahr, dann funktioniert das nicht.

Michaela Gosch ist Geschäftsführerin der Frauenhäuser Steiermark und Obfrau des Verbands Vernetzte Opferschutz-orientierte Täterarbeit.
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STANDARD: Sie sagen, Täterarbeit funktioniert gut. Woran können Sie das festmachen?

Gosch: Wenn ich weiß, was der Gefährder für Motive hat, was er möchte, dann ist eine bessere Sicherheitsplanung möglich. In Frauenhäusern sind etwa fünf bis zehn Prozent Hochrisikofälle, für diese und für alle anderen Fälle ist eine Sicherheitsplanung leichter, wenn ich weiß, wie der Gefährder drauf ist. So wissen wir schneller, ob eine bundesländerübergreifende Unterbringung nötig ist, ob es eine Anzeige braucht – all das kann man durch die Arbeit mit dem Täter feintunen.

STANDARD: Wie entwickelt sich Täterarbeit im besten Fall?

Gosch: Dass die Männer bei den Beratungsstellen "kleben bleiben". Auch in manchen Hochrisikofällen ist der Wunsch nach Veränderung aufseiten der Gefährder vorhanden. Es sind ja keine Menschen, die als Gefährder auf die Welt gekommen sind. Es sind Menschen, die in ihrem Leben Bruchstellen erlitten haben, die falsche Entscheidungen getroffen haben und noch immer treffen. Trotzdem sind nicht alle hundertprozentig veränderungsresistent. Natürlich gibt es auch jene, mit denen nicht zu reden ist und wo es strafrechtliche Maßnahmen braucht, damit wir die Frauen schützen können. Aber nicht alle.

Was oft übersehen wird: Täterarbeit ist auch wegen der anderen Familienmitglieder und vor allem wegen der Kinder essenziell. Gewalt wird sozial vererbt. Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen Gewalt passiert ist, haben ein höheres Risiko, selbst Gewalt auszuüben oder Opfer von Gewalt zu werden. Das macht klar, wie wichtig auch die Arbeit mit Gefährdern ist.

STANDARD: Aber braucht es erst einmal nicht viel mehr Mittel für die Opferschutzeinrichtungen?

Gosch: Ich halte nichts davon, das eine gegen das andere auszuspielen. Dass Opferschutzeinrichtungen mehr finanzielle Mittel brauchen könnten, ist klar. Aber es kann kein Entweder-oder sein. Wir brauchen beides. Im Moment halte ich den Fokus auf die Täterarbeit für richtig. Es ist gut, dass hier endlich Handlungsbedarf gesehen wird und Täterarbeit gesetzlich verankert wurde.

STANDARD: Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Gosch: Es braucht mehr Wissen in den Institutionen. Die Polizei zum Beispiel hat vielschichtige Aufgaben, familiäre Gewalt ist nur eine davon. Das Wissen über Gewaltdynamiken, über Beziehungsgewalt ist schon ein spezielles Wissen, und wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die Justiz, die Polizei oder die Kinder- und Jugendschutzbehörden unser Fachwissen haben. Ich würde mir wünschen, dass diese Institutionen stärker auf unsere Expertise zurückgreifen und bei uns etwas verstärkt um Schulungen anfragen.

Das andere ist: Es gibt bereits viele Angebote, aber viele betroffene Frauen kennen sie nicht. Was können wir also tun, um dieses Wissen über Beratungsstellen und Hilfen zu den betroffenen Personen zu bringen?

STANDARD: Die Lebensmittelkette Spar informierte im August auf Kassenbons, in Niederösterreich auf Milchpackungen über Notrufnummern. Ist das ein guter Weg?

Gosch: Ja, aber die Leute müssen mehr wissen als Notrufnummern. Es müsste Kampagnen geben, die aufklären, dass Gewalt nur in wenigen Fällen das blaue Auge ist. Es muss für die Zivilgesellschaft das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass Gewalt nicht erst bei einer Ohrfeige anfängt. Viele Frauen denken, ich selbst bin noch nicht von Gewalt betroffen, solange ich kein blaues Auge habe. Aber darüber, dass es ökonomische Gewalt ist, wenn man keinen Zugang zu Finanzen hat, was psychische Gewalt ist oder dass auch ein leichtes Schupfen schon Gewalt ist, darüber gibt es noch wenig Wissen. Und derzeit sind Kampagnen gegen Gewalt einfach oft zu plakativ.

STANDARD: Inwiefern?

Gosch: Man müsste von dieser Bildsprache von den bösen Männern und den armen Frauen weggehen. Es gibt Studien, die klar zeigen, dass damit weder betroffene Frauen erreicht werden noch potenziell gewalttätige Männer. Bei düsteren Kampagnen mit Frauen mit blauem Flecken wollen Betroffene nicht hinschauen. Und Frauen, die Gewalterfahrungen haben, die nicht solche Spuren hinterlassen, fühlen sich nicht angesprochen. Plakativen Kampagnen erreichen in erster Linie Frauen, die nicht von Gewalt betroffen sind und schon ein politisches Bewusstsein haben – aber die sind ja nicht die Zielgruppe.

Es ist auch wichtig, in Kampagnen Männer nicht unter Generalverdacht zu stellen. Wenn wir Männer im Kampf gegen Gewalt mit ins Boot holen wollen, ist das der falsche Weg. Es stimmt, der Großteil der Gewalt geht von Männern aus. Das ist Fakt, aber nicht der Großteil der Männer ist gewalttätig. Ich habe manchmal den Eindruck, das wird ein bisschen vermischt. (Beate Hausbichler, 4.10.2021)