Lieber Lohnnebenkosten senken als Gewinnsteuern: Wifo-Chef Christoph Badelt.

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Seine Zeit an der Spitze des Forschungsinstituts Wifo geht im September zu Ende, in der heimischen Wirtschaftspolitik wird Christoph Badelt aber als Leiter des Fiskalrats weiter eine Rolle spielen. In der neuen Aufgabe wird er allen voran die Budgetentwicklung beobachten müssen. Angesichts der geplanten Steuerreform wird da einiges in Bewegung kommen.

STANDARD: Finden Sie es nicht erstaunlich, dass es nun überall heißt, die Wirtschaft brumme so sehr? Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaftsleistung als Folge der Pandemie um 6,7 Prozent eingebrochen. Das ist immer noch nicht wettgemacht, das Wachstum heuer wird wohl unter fünf Prozent sein.

Badelt: Das Tempo des Aufschwungs hat uns alle überrascht. Damit meine ich nicht nur die Wirtschaftsforscher, sondern auch die Unternehmer. Wir haben keine Erfahrung gehabt mit einer Krise, die dadurch entsteht, dass man die Wirtschaft zusperrt. Und wir haben auch keine Erfahrung mit einer Krise, die dadurch endet, dass man die Wirtschaft wieder aufsperrt. Wir haben tatsächlich im Sommer das Produktionsniveau von vor der Krise erreicht. Auch die Beschäftigung hat das Vorkrisenniveau erreicht.

STANDARD: Welche Spielräume gibt es nach der Krise für Steuersenkungen? Die Staatsausgaben sind allein im Pandemiejahr um 24,4 Milliarden Euro gestiegen. Dazu kamen noch fast zehn Milliarden Euro an weniger eingenommenen Steuern.

Badelt: Das ist gewaltig. Aber der Aufschwung ist auch gewaltig.

STANDARD: Klingt so, als hätten wir kein Problem.

Badelt: Wir haben schon ein Problem. Es ist plausibel anzunehmen, dass wir von den laufenden Ausgaben her im Jahr 2022 die Pandemie hinter uns gelassen haben werden. Das gilt natürlich nur dann, wenn sich die Krise so entwickelt, wie wir das denken. Von der Krise wird zu diesem Zeitpunkt also ein deutlich höherer Schuldenstand übrigbleiben.

STANDARD: Können wir uns also eine Steuersenkung, wie sie die türkis-grüne Koalition plant, leisten? Der Fiskalrat hat gerade eine Analyse zu den langfristigen Budgetperspektiven erstellt.

Badelt: Wir haben vor allem die großen Ausgabenblöcke für Pensionen, Gesundheit und Pflege simuliert und uns angesehen, was bei den Staatseinnahmen und -ausgaben geschieht, wenn keine wesentliche Politikveränderung stattfindet. Wenn es gelingt, die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise hinter uns zu lassen, dann kehren wir zurück zu der Situation vor der Pandemie: Die Zinsen, die der Staat für seine Schulden zahlen muss, werden niedriger sein als das laufende Wirtschaftswachstum. Dadurch sinkt bis zu einem gewissen Grad der Schuldenberg von selbst, der ja in Relation zur Wirtschaftsleistung berechnet wird. Wenn wir die Schuldenquote erst innerhalb von 20 Jahren zurückführen, haben wir also einen kurzfristigen finanziellen Spielraum von bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, also rund acht Milliarden Euro. Dieser wird dann allerdings Mitte der 2030er-Jahre verschwinden aufgrund der demografischen Entwicklung, wegen der zusätzlichen Ausgaben für Pensionen und Pflege.

STANDARD: Wie sollen wir den Spielraum nutzen?

Badelt: Wir können ihn verwenden, um die Schulden schneller auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung abzubauen. Das macht Sinn, wenn wir auf künftige Krisen vorbereitet sein wollen. Ökonomisch ist das wegen der niedrigen Zinsen aber nicht dringend. Oder wir finanzieren Investitionen in Klimaschutz und Pflege. Eine andere Alternative ist es, die Steuern zu senken. Man muss sich nur über eines im Klaren sein: Wenn wir diesen Spielraum nun für Maßnahmen nutzen, die dauerhaft wirken, wie eine Steuersenkung, dann ist der Puffer weg. Dann wird der erwähnte Engpass durch höhere Ausgaben in den 2030er-Jahren früher kommen.

STANDARD: Also, was sollen wir tun?

Badelt: Das ist eine politische Wertentscheidung. Ich denke, wir sollten in erster Linie investieren. Die Investitionen, die wir für den Klimaschutz brauchen, haben Dimensionen, die bei weitem über den finanziellen Spielraum hinausgehen. Auch der Bedarf für Bildung, Digitalisierung ist enorm. Der Vorteil solcher Investitionen wäre, dass sie später auch Erträge bringen.

STANDARD: Geplant ist ja, die Einkommenssteuer zu senken. Damit würde die kalte Progression, also schleichende Steuererhöhungen, an die Arbeitnehmer rückerstattet. Da ist sich die Koalition einig. Zugleich soll die Körperschaftssteuer sinken. Gibt es für letzteren Punkt eine gute Rechtfertigung?

Badelt: Ökonomisch gesehen würde eine Entlastung der Unternehmen bei den Lohnnebenkosten mehr positive Effekte bringen. Dadurch würde Arbeit billiger. Je nachdem, wie das angelegt wird, kann das auch bedeuten, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto haben. Jedenfalls wirkt sich eine Lohnnebenkostensenkung auch positiv auf die Ertragssituation der Unternehmen aus. Die Wettbewerbsfähigkeit wird zugleich gestärkt, und zwar deshalb, weil die hohe Belastung des Faktors Arbeit reduziert wird. Bei einer Körperschaftssteuersenkung wird das Land zwar auch attraktiver gemacht, aber viel unspezifischer. Hinzu kommt die Frage, wie es beim Steuerwettbewerb weitergeht, wenn andere Länder auch anfangen, Körperschaftssteuern zu senken. (András Szigetvari, 28.9.2021)