Ampelkoalition oder doch "Jamaika", also Kanzlersein oder Nichtkanzlersein für Olaf Scholz und Armin Laschet? Auf diese entscheidende Frage ist die Debatte zugespitzt. Alle anderen im Vorfeld der Bundestagswahl erwogenen Koalitionsvarianten sind faktisch (keine Mehrheit von Rot-Rot-Grün) oder praktisch unmöglich. Die nicht mehr große schwarz-rote Koalition hätte zwar eine Mandatsmehrheit. Aber es wäre eine Verhöhnung der Wähler, wenn CDU/CSU und SPD als Regierung weitermachten.

Diese in zwölf gemeinsamen Regierungsjahren erschöpfte Konstellation ist am Ende. Angela Merkel wird als bedeutende Kanzlerin bald Geschichte sein. Zwar läuft eine Nostalgiewelle zu Merkel. In Berlin kursieren Kleidungsstücke mit dem liebevollen Schriftzug "Tschüs, Mutti", für die Königin der Politik des Abwartens und der Stabilität, die Europa durch viele Krisen geleitet hat: eine verdiente Zuneigung.

Nüchtern muss man aber festhalten, dass die Kanzlerin zuletzt mehr für Stillstand, für das Abdrehen von eigentlich nötigen Debatten und Reformen, für Versäumnisse stand anstatt für Ideen.

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Der Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin.
Foto: AP/Markus Schreiber

"Ihre" Groko kam vor allem deshalb nicht einmal mehr auf 50 Prozent Stimmenanteil, die Christdemokraten sind dramatisch abgestraft. Die Persönlichkeit Merkels hat das (zu) lange zugedeckt. Dass ausgerechnet ihr Vizekanzler Olaf Scholz jetzt den Erneuerer gibt, ist eine Ironie der Geschichte.

Energie- und Verkehrswende

Ein erstaunlicher Appell von VW-Chef Herbert Diess an die künftige Regierung macht deutlich, was in Deutschland nottut: Mut. Er fordert einen CO2-Preis von 65 Euro, mehr Carsharing, eine ehrgeizigere Energie- und Verkehrswende. Das beschämt die bisherige Regierung. Der Automann steht nicht im Verdacht, ein links-grüner Träumer zu sein.

Sein Statement unterstreicht generell, wie wichtig und wohltuend es ist, wenn nun die Grünen und die FDP im ersten Anlauf der Koalitionsgespräche das Heft in die Hand nehmen. Anders als CDU/CSU und SPD, die besonders zahlreich von der Generation 60 plus gewählt wurden, stehen die Liberalen und Grünen für die Wählergeneration bis 30, für die Zukunft, für smarten digitalen und ökologischen Wandel.

Die überalterten Groko-Parteien brauchen Druck, die Union genauso wie die SPD. Die politische Mitte ist breiter geworden. Die radikalen Parteien rechts und links, AfD und Linke, die gerne die EU bzw. die Nato abschaffen würden, wurden vom Wähler nicht gestärkt.

Schaut man in andere EU-Staaten, entspricht die Wahl in Deutschland einem Trend: Sie ist eine Art Normalisierung. Parteispektren werden bunter, komplexer – so wie die Welt. In Benelux etwa gibt es drei liberale Regierungschefs in Mehrparteienbündnissen. Im Norden regieren gerade viele Sozialdemokraten in Mehrparteienkoalitionen. Warum sollte das in Deutschland nicht funktionieren? Erst muss geklärt werden, zu welcher Art von Reformregierung man sich findet, dann die Kanzlerfrage.

Scholz und die SPD scheinen bessere Chancen zu haben. Aber ganz ausschließen kann man auch Jamaika nicht. Vielleicht mit einem anderen Kanzler als Verlierer Laschet? Warum nicht Robert Habeck von den drittplatzierten Grünen?

In Luxemburg wurde der Liberale Xavier Bettel als Dritter Premierminister. Der neue Kanzler wird ein guter Teamplayer sein müssen – kein starker Mann nach einer starken Frau. Deutschland im Auf- und Umbruch: eine gute Botschaft. (Thomas Mayer, 28.9.2021)