Generalstabschef Mark Milley bei der Anhörung am Dienstag.

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Washington – Das US-Militär hat zahlreiche Fehleinschätzungen beim Abzug aus Afghanistan offengelegt und vor einer Terrorgefahr gewarnt. "Es ist klar, es ist offensichtlich, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu den Bedingungen geendet hat, die wir wollten", sagte Generalstabschef Mark Milley bei einer Anhörung im US-Senat am Dienstag. Dass Terrorgruppen wie der "Islamische Staat" (IS) oder Al-Kaida von Afghanistan aus versuchen könnten, die USA anzugreifen, sei eine "sehr reale Möglichkeit".

Milley hatte den damaligen Präsidenten Donald Trump und dessen Nachfolger Joe Biden eigenen Angaben zufolge vor den Gefahren eines schnellen Abzugs gewarnt. Die letzten US-Truppen hatten Afghanistan Ende August verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren – auch die militärische Evakuierungsmission war damit beendet worden. Inmitten des Evakuierungseinsatzes wurden bei einer Terrorattacke vor dem Flughafen von Kabul dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Der mit den Taliban verfeindete IS reklamierte den Angriff für sich. Die Taliban hatten Mitte August die Macht in Kabul übernommen.

Warnung vor "Bürgerkrieg"

Milley betonte, dass er bereits im Herbst 2020 davor gewarnt habe, dass ein zu schneller Abzug die Gefahr einer "vollständigen Übernahme durch die Taliban" berge oder zu einem "allgemeinen Bürgerkrieg" führen könnte. "Das war vor einem Jahr, und meine Einschätzung ist bis heute gleich geblieben." Den so raschen Zusammenbruch des afghanischen Militärs und der Regierung habe man aber "absolut" nicht kommen sehen, sagte Milley. Geheimdienste hätten eine Machtübernahme der Taliban im Spätherbst oder Winter erwartet, vielleicht auch im kommenden Frühjahr.

Milley und General Kenneth McKenzie, der zuständige US-Kommandant für die Region, sagten außerdem, dass sie persönlich der Ansicht gewesen seien, es sei besser, etwa 2.500 US-Soldaten im Land zu belassen. "Ich bin sicher, dass der Präsident alle Empfehlungen gehört hat und ihnen sehr aufmerksam zugehört hat", sagte McKenzie. Biden hatte im April angekündigt, alle US-Soldaten spätestens bis zum 11. September bedingungslos abzuziehen. Im Juli zog er das Datum auf den 31. August vor.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, äußerte sich ausweichend dazu, welche konkreten Empfehlungen Biden von wem vor seiner Entscheidung bekommen habe. Sie betonte, es habe verschiedene Standpunkte gegeben. Der Präsident habe klare Empfehlungen ohne Beschönigungen erbeten, er begrüße Offenheit und Debatten mit seinen Beratern. Aber er stimme nicht immer mit jedem Ratschlag überein. "Am Ende, unabhängig von den Ratschlägen, liegt die Entscheidung bei ihm. Er ist der Oberbefehlshaber. Er ist der Präsident", sagte Psaki. Und Biden habe entschieden, den Krieg nach 20 Jahren zu beenden.

Kritik an Strategie

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gestand ein, man habe das Ausmaß der Korruption und der schlechten Führung in der afghanischen Führung nicht erkannt. Außerdem habe man nicht gesehen, dass die Vereinbarung von Doha mit den Taliban die afghanischen Streitkräfte demoralisiert habe. Mit den Taliban hatten die USA noch unter Trump einen Abzug bis zum 1. Mai vereinbart. Das Abkommen wurde in der katarischen Hauptstadt Doha unterzeichnet. Die Vereinbarung hatte eigentlich eine politische Lösung zum Ziel.

Milley, McKenzie, Austin und der Abzug wurden bei der Anhörung im Senat heftig kritisiert. Die chaotische Situation im August sei vermeidbar gewesen – nun müsse man mit Terroristen verhandeln, kritisierte das ranghöchste Mitglied der Republikaner im Streitkräfteausschuss, Jim Inhofe. Biden habe außerdem Amerikaner in Afghanistan zurückgelassen. Verteidigungsminister Austin gestand Fehler ein, verteidigte aber auch, dass die militärische Evakuierungsaktion mit dem Abzug am 31. August beendet wurde. "Die Taliban hatten deutlich gemacht, dass ihre Zusammenarbeit am 1. September enden würde", sagte er. Perfekt sei das alles natürlich nicht gewesen.

Brisante Telefonate

Generalstabschef Milley ging auch auf seine Telefonate mit China kurz vor der US-Wahl sowie nach der Attacke auf das US-Kapitol im Jänner ein. Diese hatten zwei Investigativjournalisten im September öffentlich gemacht. "Meine Aufgabe bestand damals darin, eine Eskalation zu verhindern." Er sei außerdem davon überzeugt gewesen, dass der damalige Präsident Trump die Chinesen nicht habe angreifen wollen. Es sei seine direkte Verantwortung gewesen, das den Chinesen zu vermitteln. Er habe hohe Regierungsbeamte über die Anrufe informiert. Milley war wegen der Telefonate in die Kritik geraten – ihm wurde vorgeworfen, seine Befugnisse zu überschreiten. (APA, 28.9.2021)