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Bis 1955 war das Palais Epstein an der Wiener Ringstraße das Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Idee einer österreichischen Teilung wies Moskau 1948 vehement ab.

Foto: MILOU STEINER / Keystone / picturedesk.com

Nur mit blanker Gewalt gegen die Bevölkerung kann sich der belarussische Langzeitmachthaber Alexander Lukaschenko nach der Präsidentschaftswahl 2020 weiter an der Macht halten. Im August 2021, ein Jahr nach Beginn der gegen die Scheinwahl gerichteten Massenproteste, nimmt Werner Murgg in einem Fernsehstudio in Belarus Platz. Er besuche das Land zum wiederholten Mal, erzählt der steirische KPÖ-Landtagsabgeordnete und Stadtrat in Leoben. Er sei hier, um sich selbst ein Bild zu machen.

"Die Eindrücke, die ich gesammelt habe, sind ganz anders, als das bei uns in den Medien dargestellt wird." Murgg spricht von einer westlichen "Negativkampagne" gegen das Land und warnt, dass dadurch "in Belarus eine Situation entsteht, wo große Teile der Bevölkerung ökonomisch abrutschen und Unruhe, Anarchie und Aufstände entstehen". Wie er zu Lukaschenko steht, will er auf Nachfrage des STANDARD nicht kommentieren. Die KPÖ Steiermark spricht von einem "privaten Besuch" Murggs.

Der bemerkenswerte Auftritt des kommunistischen Politikers aus Österreich in einer Diktatur weckt historische Erinnerungen. Jahrzehntelang galt die KPÖ als eisern moskautreu und sagte sich erst spät von Stalin los. Diese Zeiten sind vorbei. Doch wie es um das Weltbild und die Vergangenheitsbewältigung der Partei steht, rückte nach ihrem spektakulären Wahlerfolg in Graz vergangene Woche wieder verstärkt ins Rampenlicht.

Brisante Dokumente

Der Historiker Wolfgang Mueller attestiert der Partei Fortschritte, aber auch Defizite in der Bewältigung ihrer Vergangenheit. Mueller, Professor für russische Geschichte an der Universität Wien, hat schon vor Jahren die Korrespondenz zwischen der KPÖ und Stalin aufgearbeitet. Exemplarisch ist für ihn der Umgang mit einer brisanten Episode, auf die er in Moskauer Archiven gestoßen ist: Aus mehreren Dokumenten geht hervor, dass die Parteispitze der österreichischen Kommunisten 1947/48 mit dem Gedanken einer Teilung Österreichs spielte – mit der Abtrennung der sowjetischen Besatzungszone im Osten in einen Staat unter kommunistischer Herrschaft.

Dass daraus nichts wurde, lag an Moskaus unmissverständlicher Ablehnung: Eine Teilung Österreichs war nicht im Interesse der Sowjetunion. "Bis ich das 2005 veröffentlicht habe, wurde seitens der KPÖ kein Wort über diese Begebenheit gesprochen. Danach war die Abwehrreaktion stark", sagt Mueller. Es mangle bis heute an parteiunabhängiger historischer Forschung zur KPÖ.

Ablehnung aus Moskau

Überlegungen zu einer Teilung Österreichs kamen vor dem Hintergrund der politischen Lage der KPÖ nicht überraschend. Die Partei war bei den Nationalratswahlen im November 1945 auf kaum mehr als fünf Prozent der Stimmen gekommen und seither in innenpolitische Isolation geraten. Als im Herbst 1947 ein österreichischer Staatsvertrag möglich schien, wurden machtpolitische Alternativen erörtert: Der Abzug der Besatzungsmächte hätte das Ende der sowjetischen Zone in Ostösterreich bedeutet, in der die KPÖ auf die Unterstützung Moskaus zählen konnte. Ein Alternativszenario zeichnete sich indes in Deutschland ab: die Spaltung des Landes und die Errichtung einer kommunistischen "Volksdemokratie" im Osten.

Die Abfuhr, die sich die KPÖ-Spitze im Februar 1948 in Moskau für diese Idee holte, ist in Form eines Gesprächsprotokolls überliefert, das Mueller in den Archiven fand. Andrei Schdanow, mächtiges Politbüro-Mitglied und zu dieser Zeit die Nummer Zwei hinter Stalin, stellte darin gegenüber dem KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig und dem KPÖ-Generalsekretär Friedl Fürnberg klar, dass eine Teilung für die Sowjetunion nicht akzeptabel sei.

Warum, blieb unausgesprochen, ist aber naheliegend: Sie hätte unweigerlich zu einer stärkeren Anbindung Westösterreichs an Deutschland – vielleicht sogar zu einem künftigen Anschluss – geführt, was keinesfalls im sowjetischen Interesse liegen konnte. Dass eine ostösterreichische Mini-Volksdemokratie mit gerade einmal 1,6 Millionen Einwohnern dauerhaft von sowjetischer Unterstützung abhängig gewesen wäre, dürfte auch kein unwesentlicher Faktor für das russische Njet gewesen sein.

Dass es in Österreich viele verdienstvolle Kommunisten gegeben hat, die sich etwa im Widerstand gegen den Nationalsozialismus auszeichneten, steht für Mueller außer Zweifel. Die Vergangenheitsbewältigung der KPÖ sei jedoch "in großen Bereichen noch defizitär". (David Rennert, 30.9.2021)