Jederzeit heiter und dynamisch: die Figuren in Rossinis "Barbiere" an der Wiener Staatsoper.

Pöhn

Wer in seinem Erinnerungsarchiv jenes verstaubte Video findet, das zu Falcos Welthit Rock Me Amadeus als modisch schriller Begleiter unterhielt, ist schon nahe an dem, was nun an der Staatsoper das Licht der Premierenwelt erblickte. Nach mehr als 50 Jahren wagt das Haus am Ring eine neue Inszenierung von Rossinis Heiterkeitsmaschine Il barbiere di Siviglia. Und es scheinen die Figuren aus einer Welt zu stammen, in der eine Art Fantasie-Rokoko als Modegesetz regiert, wenn nicht gerade Uniformen ästhetisch auf die napoleonische Epoche verweisen.

Die Kostümideen von Victoria Behr unterstützen Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch in seiner Absicht, unbeschwertes, grelles Komödientheater abseits intellektueller Grübelei zu bieten. Warum nicht? In Zeiten wie diesen braucht ein Opernhaus auch einmal etwas Leichtes im Repertoire.

Von der Mode

Also: Es wurlt und wuselt, herzhafte Watschen werden verteilt, und auf Luftgitarren werden Akkorde gezupft, um einen verliebten Adeligen bei seinem Ständchen zu unterstützen. So wie es dieses Saiteninstrument nicht zu sehen gibt, so gibt es auch kein Barbierzeug für Faktotum Figaro. Gegenstände werden zur Geste in diesem Königreich der Pantomime.

Fritsch inszeniert also eine Slapstick-Party, ein verspieltes Verstelldichein, bei dem es ohne Unterlass so stressig zugeht wie – dem Klischee nach – Backstage knapp vor Beginn einer Modeschau. Eine Zeitlang ist diese Überdrehtheit mit ihren Details berückend – sogar in Momenten des Szenenapplauses: Virtuos eitel zelebriert dieser Figaro seine Lust am Rampenlicht, während sich in den Klatschchor (nicht zum ersten Mal an diesem Abend) ein paar verdächtig exaltierte Bravorufe mixen.

Étienne Dupuis ist als Figaro der begehrte Adressat von Aufträgen aller Art. Er verfügt vokal über charaktervolle Höhen, klingt aber in der Tiefe etwas blass, und Parlandopassagen zlebriert er bisweilen als vokalen Grenzgang. Fritsch lässt den Frisur- und Intrigenkünstler allerdings vielschichtig agieren – und dabei auch reizvoll gelangweilt.

Wenn Figaro etwa den Ausführungen des verliebten Grafen Almaviva lauschen muss, scheint ihm als Zeitvertreib gar Streckgymnastik opportun. Dieser Figaro schläft sicher nie, er ist also ein zentraler, wichtiger Unruheherd des Ganzen, sieht man von Ruth Brauer-Kvam ab. Sie kommentiert und verziert als Ambrogio das Geschehen pantomimisch.

Puppen der Musik

Seltsam allerdings: Auf Dauer mutet die ständig heitere Hektik ermüdend und zunehmend trivial an. Die Figuren wirken immer mehr wie Puppen an den Fäden der Musik, welche den Rhythmus- und Dynamikverlauf gestisch einfach irgendwie abbilden. Sie sind aufgedrehte Besucher eines Komödienballs, auf dem der Tanz erst am Schluss endet, wenn es zwischen Rosina und Graf um ernste Gefühle geht. Statt jedoch mit einem finalen Ideenfeuerwerk aufzuwarten, scheint sich die Regie verabschiedet zu haben. Es bleibt das Bild bleierner Konvention.

Schon zuvor musste Vasilisa Berzhanskaya ein Koloraturpüppchen geben, das unentwegt herumschunkelt, um am Ende als Rosina vor Liebesglück zu erstarren. Vokal verfügt sie über ein einnehmend dunkles Timbre. Wenn noch etwas Klarheit bei den virtuosen Linien dazukommt, wird das eine runde Sache, vielleicht wie bei Tenor Juan Diego Flórez, der sie als Graf Almaviva begehrt.

Er ist der souveräne Belkantist, der bis zum Schluss die artistischen vokalen Aufgaben mit Klarheit und Musikalität meistert. Ähnlich profund schließlich Ildar Abdrazakov als spleeniger Basilio, während Bariton Paolo Bordogna als Bartolo (mit der Hochhausfrisur) solide bleibt.

Leichtigkeit erwünscht

Zum Schluss lassen szenisch jedoch nur noch die zahllosen bunten Vorhänge Stimmung aufkommen. Sie hatten sich von Gag-Episode zu Gag-Episode umgruppiert, haben Raumlösungen geschaffen oder Farbkombinationen angenommen, die an Fahnen erinnerten – unter anderem die Ungarische.

Dirigent Michele Mariotti und das Staatsopernorchester agieren insgesamt druckvoll, akzentuiert. Da waren quirlige Details zu hören, instrumentale Rufzeichen quasi, keinesfalls klang das Orchester wie eine große Gitarre. Allerdings sind da zu wenige Feinheiten des Klangs. Punktuell etwas mehr Leichtigkeit und diskrete Fragilität des Sounds hätten der Rossini-Maschine gutgetan.

Ein paar Buhs gab es für den Regisseur, der sich – doch eine schöne Überraschung – quasi als lebende Puppe auf die Bühne tragen ließ. Pointen also bis nach dem Schluss. (Ljubiša Tošić, 29.9.2021)