Über Antikörpertests wird derzeit viel diskutiert. Doch gängige Produkte liefern oft nur bedingt valide Ergebnisse.

Foto: imago images/Future Image

Es gibt in Österreich eine beträchtliche Anzahl an Menschen, die keine – nachgewiesene – Corona-Infektion hatten und dennoch Antikörper besitzen. Außerdem haben Genesene mit einem bestimmten Antikörperlevel einen ziemlich sicheren Schutz vor einer weiteren Infektion. Ein positiver Antikörpertest sollte deshalb auch für den grünen Pass gelten, fordern nun manche, flächendeckende Testung inklusive.

Doch der Erkenntnisgewinn durch Antikörpertests und ihre wissenschaftliche Genauigkeit sind differenziert zu betrachten. Der Virologe Lukas Weseslindtner vom Zentrum für Virologie an der Med-Uni Wien beschäftigt sich seit Beginn der Pandemie mit der Sars-Antikörperdiagnostik. Für ihn sind breitangelegte Tests nur bedingt eine Lösung. Das sieht auch der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften so. Er führt den Großteil der Virussequenzierungen in Österreich durch.

Frage: Was genau wird bei den Antikörpertests ermittelt?

Antwort: Mit den meisten Tests misst man Antikörper, die an unterschiedliche Proteinbestandteile von Sars-CoV-2 binden. Durch die Auswahl der Proteinbestandteile, die man im Test verwendet, und durch die Messung von mehreren Antikörperunterklassen können Antikörpertests verschiedene Fragen beantworten. Man kann so etwa erkennen, ob ein Mensch geimpft ist oder eine echte Infektion durchgemacht hat, und man kann bestimmen, in welchem Infektionsstadium man sich befindet. Dann gibt es noch Neutralisationstests und Surrogat-Neutralisationstests. Diese messen die Fähigkeit der Antikörper, das Virus bzw. die gerade zirkulierende Virusvariante tatsächlich an der Infektion zu hindern, was die höchste Aussagekraft für Immunitätsbestimmungen hat.

Frage: Was sagen die ermittelten Daten konkret aus?

Antwort: Das kommt darauf an, welche Tests mit welcher spezifischen Fragestellung verwendet werden. "Man muss bei den Antikörpertests sehr genau differenzieren, und es braucht im besten Fall virologische und immunologische Kenntnisse und Erfahrung, um die Testergebnisse unterschiedlicher Antikörpertests richtig zu interpretieren", betont Weseslindtner.

Frage: Welche Tests sind aussagekräftig, welche bringen keine brauchbaren Ergebnisse?

Antwort: So einfach kann man das leider nicht sagen. Wichtig ist, dass man sich mit einer bestimmten Fragestellung den richtigen Antikörpertest aussucht und dabei seine Stärken und Schwächen kennt. Der einfache Antikörpertest, von dem die meisten jetzt reden, zeigt an, welche Konzentration an Antikörpern, die an Spikeprotein und Nucleocapsid binden, im Blut ist. Das Erste entsteht durch Impfung und durch durchgemachte Infektion, Letzteres findet man nur bei Genesenen, erklärt Molekularbiologe Elling.

Er betont: "Dieser Test gibt zwar schöne Werte, sagt aber nichts darüber aus, wie gut die Antikörper das Virus blockieren." Denn sie messen eine Vielzahl von Antikörpern, die gegen das Spikeprotein gerichtet sind. Die binden aber zum Teil an Stellen, die das Virus gar nicht stören.

Um die Immunität wirklich zu eruieren, muss man einen Neutralisationstest machen. Dabei wird auf Zellen in Zellkultur Virus sowie verdünntes Serum der zu testenden Person gegeben. Das ist aber sehr aufwendig und auch kostenintensiv. Und Virologe Weseslindtner betont: "Um valide Aussagen zu erhalten, müssen kommerzielle Antikörpertest von unabhängigen Forschungsreinrichtungen evaluiert werden. Wie wichtig das ist, hat die Pandemie eindeutig gezeigt."

Frage: Könnten die Tests auch Antikörper von anderen Coronaviren messen? Oder ist klar, dass es sich dabei um Covid-19-Viren handelt?

Antwort: Auch dabei kommt es auf den Test an. Die meisten Antikörpertests sind sehr spezifisch und zeigen nur selten falsch-positive Ergebnisse. Inzwischen gibt es sogar Tests, die die Antikörper gegen die saisonalen Coronaviren in einem Testansatz mitmessen. Ganz ausschließen kann man Kreuzreaktionen bei herkömmlichen Antikörpertests aber nie. Auch hier ist der Neutralisationstest überlegen, da er nur jene Antikörper misst, die durch die Sars-CoV-2-Infektion oder die Impfung gebildet wurden.

Frage: Wie sinnvoll sind Antikörpertests aus immunologischer Sicht? Können sie valide Aussagen darüber treffen, ob eine Immunität vorhanden ist?

Antwort: Derzeit kann man mithilfe von herkömmlichen Antikörpertests gut messen, ob die getestete Person in der Vergangenheit eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht hat oder ob die Impfung erfolgreich eine Immunreaktion ausgelöst hat. Beides korreliert sehr wahrscheinlich mit einem Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bei einer neuerlichen Infektion. Aber, so Weseslindtner: "Man kann anhand der individuellen Antikörperkonzentration keine sichere Aussage darüber treffen, in welchem Ausmaß und wie lange Immunität besteht bzw. wie ansteckend man bei einer neuerlichen Infektion sein würde."

Der Tropenmediziner und Infektiologe Marton Széll erklärt auf Twitter den Grund dafür mit einem anschaulichen Vergleich. Wenn man mit 100 Probanden, jeweils 50 Männer und Frauen, den Grenzwert der Körpergröße zwischen den Geschlechtern ermitteln will, sieht das wie folgt aus: Zwischen 152 und 197 Zentimeter erhält man noch 98 andere Werte. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden alle unter 160 Zentimeter Frauen sein, alle über 190 Zentimeter Männer. Aber eben nur wahrscheinlich. Bei allen dazwischen kann man nur raten. Ähnlich ist das Dilemma bei der Bestimmung von Antikörpergrenzwerten. Den möglichen Schutz kann man nur sehr ungenau angeben, und selbst bei Extremwerten gibt es keine klare und sichere Aussage.

Frage: Warum ist das nicht möglich?

Antwort: Weil man im Blut nicht genau die Antikörper misst, auf die es bei der Abwehr vor allem ankommt. Die werden nämlich über die Schleimhäute abgegeben. Die zweite Schwierigkeit ist, dass herkömmliche Antikörpertests eine Mischung von wirksamen (neutralisierenden) und unwirksamen (nichtneutralisierenden) Antikörpern messen. Da das Verhältnis individuell unterschiedlich ist, weiß man erst, wie viele der gemessenen Antikörper das Virus bzw. die zirkulierende Virusvariante neutralisieren, wenn ein Neutralisationstest durchgeführt wird. Der ist aufwendig und kann nur in Hochsicherheitslabors durchgeführt werden.

Frage: Welche Grenzwerte an Antikörpern sind nötig, um als immun zu gelten?

Antwort: "Das ist ja eben das Problem. Ein Grenzwert macht in meinen Augen wenig Sinn, wenn man nicht jene Antikörper bestimmt, die auch eine Wirkung haben", betont Virologe Weseslindtner. Außerdem zeigt sich, dass trotz der Standardisierung der Antikörpermaßeinheit durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), nämlich in Binding-Antibody-Units pro Milliliter, Antikörpertests verschiedener Hersteller in derselben Probe nicht exakt dieselben Werte messen.

Frage: Wie unterscheiden sich die Antikörperwerte Geimpfter von jenen Genesener?

Antwort: Misst man neutralisierende Antikörper, findet man nach der Impfung mit mRNA-Impfstoffen in der Regel deutlich höhere Antikörperkonzentrationen als nach klinisch milden Infektionen mit dem Wildvirus. Diese dürften aber schneller abfallen als nach der echten Infektion. Aber hier gibt es starke individuelle Schwankungen.

Frage: Kann man bei nicht nachgewiesener Infektion über im Test vorhandene Antikörper eine Immunität feststellen?

Antwort: Man kann sozusagen ohne PCR-Test mithilfe der Antikörper rückwirkend messen, ob es eine Infektion gegeben hat. Dazu muss man aber sagen, dass die Antikörperkonzentration im Wesentlichen auch von der klinischen Ausprägung der Infektion abhängt. Bei sehr milden Verläufen kann die Antikörperkonzentration niedrig sein, wenig sensitive Tests tun sich dann schwer. Ob man tatsächlich immun ist, kann man dann nicht sagen. "Aber wenn Antikörper eindeutig nachgewiesen werden können, besteht wahrscheinlich ein Schutz vor schweren Verläufen bei einer neuerlichen Infektion", weiß Weseslindtner.

Frage: Was bedeutet es für die Immunität, wenn man trotz durchgemachter Infektion oder Impfung keine oder nur wenige Antikörper hat?

Antwort: Das deutet dann darauf hin, dass die Impfung nicht richtig funktioniert hat und womöglich gar kein Schutz besteht. Bei Immunsupprimierten ist dies häufig der Fall. Im Gegensatz zu Immungesunden wird bei dieser Personengruppe die Antikörpertestung daher dezidiert empfohlen. Auch nach einer durchgemachten Infektion muss man nach dem völligen Verschwinden der Antikörper davon ausgehen, dass womöglich keine Immunität mehr besteht.

Frage: Was bedeutet das für die aktuelle Debatte, ob man mit positivem Antikörpertest einen grünen Pass bekommen soll?

Antwort: "Wie beschrieben gibt es bei den Tests viele Unterschiede bei der quantitativen Antikörperbestimmung. Außerdem bestehen viele offenen Fragen, welche Aussagen anhand der individuellen Antikörperkonzentration zu Immunität und Ansteckungsgefahr getroffen werden können. Ich frage mich deshalb, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen positiven Antikörpertest in den Grünen Pass aufzunehmen. Den Test welcher Hersteller soll man da gelten lassen? Mit welchem Grenzwert? Soll man auch Schnelltests verwenden können, deren Aussagekraft man gar nicht kennt? Ich bin da eher skeptisch", meint Weseslindtner.

Und auch Molekularbiologe Elling sieht das kritisch: "Alle Personen mit Neutralisationstests zu kontrollieren ist unrealistisch, da es enorm aufwendig ist. Das ist nur sinnvoll bei Krebspatienten, Immunsupprimierten oder Menschen mit ähnlichen Voraussetzungen. Antikörpertests in dem Sinne, wie normalerweise gebraucht, sind hauptsächlich Geldmacherei. Der Weg vorwärts ist ganz klar, und die israelischen Daten sprechen eine deutliche Sprache: Die dritte Impfung ist nötig." (Pia Kruckenhauser, 30.9.2021)