Im Sommer 2019 veranstaltete Bauer Morten Bjærtnes auf seinem auf der Insel Nøtterøy in Vestfold und Telemark gelegenen Hof ein Gartenfest. Man trank Bier und Wein und "koste seg veldig" wie die Norweger sagen, es handelte sich also um ein äußerst gemütliches Beisammensein. Irgendwann kam man auf prähistorische Felsritzungen zu sprechen, Mortens Nachbar nennt stolz ein solches Kunstwerk auf seinem Grund sein eigen. Jemand merkte an, dass der Felsen, der nahe Mortens Bauernhof zutage tritt, doch ebenfalls für ein solches Felsbild geeignet zu sein scheint. Einer der Gäste machte sich daraufhin auf den Weg, den Felsen zu erkunden. Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu – bis der Mann einige Zeit später zurückkam und zum Erstaunen aller verkündete: "Jeg fant en", auf Deutsch: "Ich hab eines gefunden."

Die neuentdeckte Felsritzung auf Nøtterøy ist ohne Hilfsmittel kaum zu erkennen.
Foto: VTFK
Besser sieht man sie, nachdem sie mit Farbe markiert wurde. Eine Vorgangsweise, die unter Archäologen übrigens umstritten ist.
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Geritzt, gehackt, gekerbt

Petroglyphen, auf Norwegisch auch Helleristninger genannt, sind Darstellungen, die in den Fels geritzt, gehackt oder gekerbt wurden und so Tausende von Jahren überdauern können. In Norwegen finden sich relativ viele dieser Bilder aus der Vergangenheit; besonders bekannt sind die Petroglyphen von Alta in der im Norden gelegenen Finnmark.

In Vestfold und Telemark werden die Felsbilder grundsätzlich in zwei Motivgruppen mit unterschiedlicher Datierung unterteilt: Veideristninger, das sind Darstellungen, die den Jäger- und Sammlerkulturen der älteren Steinzeit – in Norwegen gilt unter anderem die Einteilung: Ältere Steinzeit 10.000–4000 v. Chr. und Jüngere Steinzeit 4000–1700 v.Chr. – zugeordnet werden. Die Motive drehen sich einerseits um Beute- und Raubtiere, darunter Rentiere, Elche, Vögel, Fische und Bären und andererseits um Menschendarstellungen, die wiederum in "kultische Handlungen" und Alltagshandlungen unterteilt werden können. Es gibt auch Motive, die überhaupt nicht gedeutet werden können. Der genaue Zweck der Darstellungen ist unbekannt.

Mit dem Beginn des Ackerbaus verschwindet diese Motivgruppe zusehends beziehungsweise wird sie von der zweiten, der Bronzezeit (1700–500 v. Chr.) zugeordneten Motivgruppe, abgelöst, den sogenannten Jordbruksristninger (etwa Ackerbauritzungen). Die Motive setzen sich hier vor allem aus schalenähnlichen Vertiefungen, Schiffen, Menschen und Geräten für den Ackerbau, aber auch Haus- sowie Beutetieren zusammen.

Jordbruksristninger finden sich oft entlang fruchtbarer Talsohlen, die in der Bronzezeit als Weidegründe verwendet wurden, gerne ein Stück weit entfernt von den eigentlichen Siedlungen. Was die Bedeutung der bronzezeitlichen Felsritzungen betrifft, sind sich die Experten nicht sicher. Es könnte sich dabei schlicht um die Abbildung historischer Gegebenheiten handeln, die in diesen Gebieten einst stattgefunden haben. Ebenso möglich sind aber auch abstraktere Deutungen, die die Darstellungen als Auseinandersetzung mit der eigenen Identität oder als Markierungen von Gebietsansprüchen verstehen.

Eines der beeindruckendsten Paneele mit zahlreichen Schiffsdarstellungen bei Løberg in Skien.
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Besonders imponierend präsentieren sich die Felsritzungen nachts im Streiflicht. In der Mitte ist deutlich eine Schiffsdarstellung zu erkennen.
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Abgesehen von den Felsritzungen gibt es in Vestfold und Telemark auch eine Reihe von Felsmalereien, wenngleich in weit geringerer Zahl. Das könnte auch dem Umstand geschuldet sein, dass Felsmalereien ohne ausreichenden Schutz vor den Elementen, beispielsweise in Höhlen oder unter Abris (Felsüberhänge), sich nicht im selben Maße wie die Felsritzungen erhalten haben. Datiert werden die Malereien in die Bronzezeit, als Motive finde sich oft langgezogene Menschen-Darstellungen, aber auch Tiere und geometrische Figuren.

Die Experten des Kulturhistorischen Museums vor Ort.
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Mit einem Regenschirm wird Schatten erzeugt, mit einem Spiegel gezielt Licht auf die kaum sichtbare Felsritzung geworfen, die so wieder sichtbar gemacht werden kann.
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Schwer erkennbare Felsbilder

Die Felsritzung, die so unerwartet auf Morten Bjærtens Bauernhof aufgetaucht war, wurde mittlerweile von Experten des Kulturhistorischen Museums in Oslo als Bootsdarstellung identifiziert und in die Bronzezeit datiert. Der Grund, warum sie so lange unentdeckt geblieben ist, liegt an der Verwitterung der Ritzung. Man darf nicht vergessen, dass auf bekannten Fundstellen wie Alta in Norwegen oder Tanum in Schweden viele Felsritzungen mit Farbe gekennzeichnet wurden, um sie für Interessierte besser sichtbar zu machen. Eine Felsritzung ohne eine solche Kennzeichnung ist oft kaum auszumachen. Ein Trick der Forscher besteht in der Verwendung von Streiflicht. Am effektivsten macht man das nachts mit einer Taschenlampe. Bei der Felsritzung auf Nøtterøy wurde mittels eines Regenschirms und einem Spiegel nachgeholfen, um sie auch bei Tageslicht studieren zu können.

Für uns Archäologen sind Felsbilder faszinierende und wichtige Fenster in die Vergangenheit, weil sie uns seltene Einblicke in die immaterielle Welt vergangener Kulturen ermöglichen. Für Morten Bjærtnes bedeutete der Fund eines in den Felsen geritzten Schiffes auf seinem Bauernhof nach eigenen Angaben vor allem eines: dass er seinem Nachbarn endlich unter die Nase reiben kann, dass er jetzt seine eigene Felsritzung hat. (Petra Schneidhofer, 30.9.2021)