Symbolbild eines Polizeieinsatzes bei einem Wohnhaus.

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Es war ein Polizeieinsatz, der wohl nicht nur den Betroffenen in Erinnerung geblieben ist: "Wir haben Angst", sagt Frau T.* zu Polizeibeamten, die im Juni zu einem Einsatz in ihrer Wohnung gerufen werden – DER STANDARD berichtete. Zur Erinnerung: Dem war ein Streit mit ihrem Noch-Ehemann vorausgegangen, von dem sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits trennen wollte. Weil dieser laut T.s Angaben immer wieder aggressiv sei, laut werde und täglich trinke, habe sie ihm den Schlüssel zur gemeinsamen Wohnung abgenommen. Der Mann rief daraufhin die Polizei.

Von dem Einsatz existiert ein dem STANDARD vorliegender Tonmitschnitt, den eine Freundin von T. mit dem Hintergedanken anfertigte, das Verhalten des Mannes zu dokumentieren. Und er zeigt, wie die involvierten Beamten mit Frau T.s Bitte um Hilfe umgingen: "Ja, wir haben alle Angst", entgegnet etwa ein Beamter der Betroffenen. Es fallen zudem Sätze wie "Wenn Sie einen Beziehungsstreit haben, warum sind wir dann hier?" oder "Wenn Sie mit Ihrem Mann auch so reden, wundert es mich nicht, dass er irgendwann zum Schreien anfängt, ich werde auch laut mit Ihnen" sowie "Schauen Sie, ich hab schon Frauen mit Kindern eingesperrt, weil sie nicht aufgehört haben zu reden." Als ein Polizist fragte: "Was sollen wir jetzt machen, was stellen Sie sich vor, dass wir ihn rauswerfen?", antwortete die Frau: "Ja, bitte, wir haben Angst vor ihm." Auch "Heute" berichtete damals über den Fall.

Befragungen

Ein Betretungsverbot wurde seitens der involvierten Beamten nicht ausgesprochen. Die Frau musste dem Mann den Schlüssel wieder aushändigen. Dies zog nicht nur die Kritik von T.s Anwältin nach sich, deren Ansicht nach die Exekutive "natürlich" ein Betretungsverbot gegenüber dem Mann hätte aussprechen sollen, es folgte auch Kritik von politischer Seite.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verteidigt nun die Entscheidung der Beamten. "Von den Exekutivbediensteten vor Ort wurde eine Gefährdungsanalyse durchgeführt. Die Gefahrenprognose erfolgt auf Rechtsgrundlage von § 38a Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz", schreibt Nehammer in einer dem STANDARD vorliegenden parlamentarischen Anfragebeantwortung an die grüne Frauensprecherin Meri Disoski. Einem "fairen Verfahren entsprechend" seien "beide Seiten angehört" worden: "Sowohl die Frau als auch der Mann hatten im konkreten Fall die Möglichkeit, sich getrennt zum Vorfall zu äußern und ihre Argumente darzulegen."

Voraussetzungen

Voraussetzung für den Ausspruch eines Betretungsverbots ist, dass die Polizei zu der Einschätzung kommt, dass ein "gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit" bevorsteht. "Für eine derartige Annahme ergaben sich jedoch für die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine ausreichenden Anhaltspunkte", schreibt Nehammer. Und: "Da auf Grund der durchgeführten Gefahrenprognose die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Betretungsverbotes nicht vorlagen, wurde ein solches auch nicht ausgesprochen, obwohl die Frau verlangte, dass ihr Ehegatte aus der Wohnung weggewiesen werde." Es sei zwar richtig, dass Trennungs- und Scheidungssituationen ein erhöhtes Gefahrenpotenzial aufweisen würden, dieser Umstand sei aber auch bei der Prognose berücksichtigt worden. Er könne nicht isoliert betrachtet als "alleinige Entscheidungsgrundlage für die Verhängung eines Betretungsverbots herangezogen werden".

T.s Anwältin Aleksandra Fux bestreitet, dass die Gespräche und damit die Gefahrenprognose ordentlich durchgeführt worden sei. "Die standen alle in einem Zimmer", sagt sie zum STANDARD. Die Tonaufnahme vermittelt den Eindruck, als sei der physische Abstand zwischen der Frau und dem Mann nicht allzu groß gewesen. Im Vordergrund ist das Gespräch der Frau mit Beamten deutlich zu hören, im Hintergrund ist jedoch immer wieder auch ein Gespräch des Mannes mit Beamten zu vernehmen.

Nach dem Einsatz erhielt die Frau eine Strafverfügung über 200 Euro. Die Vorwürfe: Sie habe "ungebührlicherweise störenden Lärm erregt", indem sie Beamte angeschrien habe und weil sie gesagt haben soll, dass sie nicht geglaubt habe, "dass in Österreich so blöde und inkompetente Polizisten herumlaufen". Dagegen hat Fux Einspruch erhoben, bisher habe es seitens der Behörden hier allerdings noch keine Reaktion gegeben.

In einer zweiten Sache jedoch schon: Fux brachte außerdem eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft ein. Vorwürfe: Ein Polizist habe Frau T. durch die Strafverfügung verleumdet. Zudem hätten die Beamten Amtsmissbrauch begangen, da sie der Frau keine Hilfe geleistet hätten. In einigen Tagen werde ihre Mandantin als Zeugin zu dem Fall einvernommen, sagt Fux. Das Innenministerium bestätigt, dass nun ermittelt wird: "Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) ermittelt über Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien zum gegenständlichen Sachverhalt. Aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens können keine weiteren Details bekannt gegeben werden."

Kritik

Die grüne Frauensprecherin Disoski kann Nehammers Einschätzungen nicht nachvollziehen: "Es ist mir unerklärlich, wie Polizeibeamt*innen in Anwesenheit eines aggressiven und alkoholisierten Mannes zu dem Schluss kommen konnten, die Situation sei für die Frau ungefährlich – noch dazu in einer Trennungssituation, also in einer der gefährlichsten Phasen." Dass in Gefahrensituationen für Frauen die rechtlichen Möglichkeiten zu ihrem Schutz nicht ausgeschöpft werden, sei inakzeptabel.

Auf die Frage, ob Nehammer bereits eine Evaluierung des Einsatzes in die Wege geleitet habe, schreibt der Innenminister: "Es gilt vorerst, die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten. Wann und welche Maßnahmen in der Folge gesetzt werden, kann derzeit nicht gesagt werden, dies hängt vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ab." (Vanessa Gaigg, 29.9.2021)