"Dracron": Das Duo Emmanuel Macron und Mario Draghi sieht Berlin selbstbewusst in die Augen.

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Nur eines darf nicht passieren, hört man aus dem Élysée-Palast: Ewig lange Koalitionsverhandlungen in Berlin sind das Letzte, was sich Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wünscht. Der Grund ist nicht nur die Sorge vor einer womöglich monatelangen Lähmung der europäischen Kooperation; vor allem befürchtet Paris eine Störung des ambitionierten Programms, das sich Frankreich für seinen EU-Vorsitz im ersten Halbjahr 2022 vorgenommen hat.

Während sich Macron nicht zur deutschen Wahl äußern dürfte, solange der Name des neuen Kanzlers nicht feststeht, skizzierte der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Clément Beaune, die französischen Erwartungen an den Partner jenseits des Rheins: Es sei zu hoffen, dass die neue Koalition "schnell" stehe und "stark" sein werde, meinte er. Die Voraussetzungen dafür seien gegeben, meinte er, da in den zur Debatte stehenden Koalitionsparteien überall "engagierte Proeuropäer" säßen.

Gemeinsames, Trennendes

Der französische Europaminister verhehlte allerdings nicht, dass es zwischen Paris und Berlin "Unterschiede" gebe. Mit diesen doch eher deutlichen Worten meint Beaune Haushalts- sowie Verteidigungsfragen – die zusammengenommen einen Großteil der gemeinsamen Themen ausmachen.

An erster Stelle steht für Paris die Frage, wie es die zukünftige Koalition mit dem EU-Budget halten wird. Macron hat der bisherigen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Covid-Krise eine gemeinsame Haftung für die europäischen Covid-Kredite abgerungen. Für Frankreich war das ein erster Schritt hin zu einer Schuldenunion– für Deutschland im Gegenteil eine große Ausnahme.

Fast ebenso wichtig ist für Frankreich die Frage, ob sich Kontinentaleuropa sicherheitspolitisch weiter auf die USA und die Nato verlassen soll – oder ob die EU eine eigenständige Verteidigung braucht. Nach der U-Boot-Krise Frankreichs mit den USA und Australien ist diese Frage für Paris von brennender Aktualität.

Kurzum: Wo Berlin bremst, will Paris Gas geben. Deshalb ist die französische Diplomatie gespannt, wie sich Olaf Scholz (SPD) als Kanzler positionieren würde. In Paris weiß man, dass der Sozialdemokrat kein Freund exzessiver Staatsausgaben ist. Und man erinnert sich, dass er 2018 sogar den kühnen Vorschlag gemacht hat, Frankreich könnte den permanenten Sitz Frankreichs im Uno-Sicherheitsrat an die ganze EU abtreten.

Scholz hat aber die Herzen der französischen Diplomaten zurückgewonnen, als er in einer Wahlsendung sagte, sein erster Auslandsbesuch werde ihn nach Paris führen. Die Zeitung "Le Monde" zeichnete am Montag ein durchaus positives Porträt eines "hartnäckigen und ungerührten" SPD-Kandidaten.

Das "Dracron"-Duett

Dass Paris so offen schnelle und klare Entscheidungen wünscht, zeugt von seinem gewachsenen Selbstbewusstsein gegenüber Berlin. Das kommt nicht von ungefähr: Macron hat sich in den letzten Merkel-Monaten immer wieder mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi abgesprochen. Dieses "Dracron"-Duett stärkt Frankreich – ohne dass dies ausgesprochen würde – den Rücken gegenüber Deutschland.

Kein Zweifel: Wenn die Koalition einmal gebildet sein wird, will auch Paris seine Vorstellung von einer deutsch-französischen Koalition realisieren. Schnell und gut. (Stefan Brändle aus Paris, 30.9.2021)