Manche Autofahrer im nordostchinesischen Shenyang dürften am Sonntagabend in Panik geraten sein: Plötzlich fielen die Ampeln in der Millionenstadt aus. Es kam zu einem Verkehrschaos. Die Ursache war ein Stromausfall. Das wäre keine Nachricht wert, wenn es nur ein paar Ampeln betroffen hätte. Seit Sonntag aber erlebt die zweitgrößte Volkswirtschaft flächendeckende Stromausfälle.

Auch ausländische Unternehmen wurden dazu angehalten, ihren Stromverbrauch zu senken. Manche müssen diesen auf 70 Prozent senken, die Vorgabe soll zunächst bis Ende der Woche gelten. Wie genau das funktionieren soll, darüber rätseln die Unternehmer. Anderen wurde schlicht der Strom abgestellt. Die Maßnahmen sollen bis zu vier Wochen dauern. Im südlichen Guangzhou forderte die Regierung die Menschen auf, nicht mehr den Lift zu benutzen und die Klimaanlagen auf maximal 26 Grad kühlen zu lassen.

Wasserknappheit

Rund ein Dutzend Provinzen sind derzeit von Stromausfällen und -rationierungen betroffen. In erster Linie trifft es die Wirtschaftszentren rund um Schanghai und das Perlflussdelta. Besonders dramatisch aber scheint die Lage im Nordosten des Landes zu sein. In der Provinz Jilin wurden zudem angekündigt, dass es auch zu Wasserknappheit kommen könnte.

Rund ein Dutzend Provinzen sind derzeit von Stromausfällen und -rationierungen betroffen.
Foto: AFP/Leo Ramirez

Über die Gründe wird gerätselt, und bizarre Theorien sprießen auf Twitter und auf chinesischen Social-Media-Seiten: Gibt es Probleme mit dem Drei-Schluchten-Damm? Haben amerikanische Hacker das chinesische Stromnetz angegriffen, um weiterhin billige chinesische Arbeiter auszubeuten? Ist das Ganze ein Generalmanöver, um zu proben, wie man im Ernstfall mit weniger Energie zurechtkommt? Oder liegt es am Ende nur an dem ungewöhnlich warmen Herbst, weswegen mehr Menschen die Klimaanlage benutzen?

Energieverschwendung

Wahrscheinlicher aber ist eine Kombination profanerer Faktoren: Xi Jinping hat kürzlich eine Reduzierung der "Energieintensität" angekündigt. Energieverschwendung ist tatsächlich ein großes Problem – zahlreiche Wolkenkratzer sind zum Beispiel nachts ohne Sinn und Zweck beleuchtet. Auch hat Peking angekündigt, "klimafreundlicher" werden zu wollen. Das sind zwar eher Lippenbekenntnisse angesichts der chinesischen Volkswirtschaft, die einen Großteil der Energie aus Kohle bezieht. Möglich aber ist, dass einige Lokalpolitiker die Vorgaben Pekings im Hauruckverfahren umsetzen, und in ihrem Machtbereich plötzlich den Stromverbrauch herunterfuhren.

Vor allem aber dürften die Stromausfälle mit den gestiegenen Kohlepreise zu tun haben. Seit Anfang des Jahres haben sich die Preise für Steinkohle nahezu verdreifacht. Das Land bezieht über 60 Prozent seiner Energie aus Kohle, und deren Preis ist in den vergangenen Wochen sprunghaft angestiegen. Da die Kohlekraftwerke des Landes aber oft mit einer sehr kleinen Gewinnspanne operieren, setzen sie die gestiegenen Preise unter Druck. Viele Kraftwerksbetreiber sehen sich gezwungen, ihren Ausstoß zu drosseln, um zu überleben.

Die Stromausfälle dürften auch mit den gestiegenen Kohlepreisen zu tun haben.
Foto: AFP/Hector Retamal

Peking hatte Anfang des Jahres einen inoffiziellen Boykott über Kohle aus Australien verhängt. Dies war eine Vergeltungsaktion, da Canberra vehement eine unabhängige Untersuchungskommission für das Auffinden des Ursprungs des Coronavirus gefordert und Peking für seine Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Hongkong kritisiert hatte. Wochenlang warteten australische Frachtschiffe in chinesischen Häfen darauf, gelöscht zu werden. Zwar sind andere Länder in der Importlücke eingesprungen, aber australische Kohle gilt als qualitativ hochwertiger. Gleichzeitig war in der ersten Jahreshälfte die Konjunktur angesprungen, weswegen viele Fabriken auf Hochtouren produziert haben.

Die Stromausfälle dürften sich auch auf die globale Konjunktur auswirken. Foxconn, ein wichtiger Zulieferer von Apple und Tesla, kündigte Produktionsausfälle an. Und in China hofft man auf einen milden Winter. (Philipp Mattheis, 30.9.2021)