Der designierte Premier Fumio Kishida (re.) mit Amtsinhaber Yoshihide Suga.

Foto: Imago / Kyodo

Am Ende entschied sich Japans Regierungspartei für Stabilität statt Wandel, als sie Fumio Kishida zu ihrem neuen Vorsitzenden kürte. Der 64-jährige frühere Außenminister, den das Parlament am kommenden Montag zum neuen Premierminister wählen wird, gilt als "Mister Status quo", der die Politik des zurückgetretenen Yoshihide Suga und dessen Vorgängers Shinzo Abe nahtlos fortsetzen wird. Ein "moderater, erfahrener Politiker ohne große Fehltritte, aber auch ohne große Erfolge" – so beschreibt ihn der Politologe Masato Kamikubo von der Universität Ritsumeikan in Kyoto.

Die Kehrseite dieser Medaille: Der Generationswechsel in der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert, wird einmal mehr auf die lange Bank geschoben. Die alte Parteigarde um Ex-Premier Abe und Finanzminister Taro Aso erwies sich erneut als Königsmacher und behält das Parteiruder fest in der Hand. Dabei zeigte sich der Wunsch nach Erneuerung klarer denn je. Fast die Hälfte der knapp 400 regionalen LDP-Vertreter stimmte bei der Wahl für den Reformkandidaten Taro Kono. Der 58-jährige Minister für die Covid-Impfkampagne steht für einen modernen Auftritt der Inselnation und fordert eine schnelle Digitalisierung der Verwaltung sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Kono kommuniziert auch lieber mit seinen 2,4 Millionen Followern auf Twitter als mit den Parteioberen.

Die Partei entscheidet

Doch das Wahlsystem für den LDP-Vorsitz gibt ihren knapp 400 Abgeordneten im Unter- und Oberhaus das gleiche Gewicht wie den Vertretern der Parteibasis. Im Fall einer Stichwahl entscheiden sie fast im Alleingang. Die Abgeordneten sind bis auf einen kleinen Teil in sieben Faktionsgruppen organisiert und lassen sich dadurch von den Altvorderen leicht lenken.

Bei der Wahl am Mittwoch war der übliche Faktionszwang bei Wahlen zwar inoffiziell aufgehoben. Aber kein einziger Faktionsführer und keines der LDP-Schwergewichte sprach sich zuvor für Kono aus. Nicht einmal Finanzminister Aso machte sich für ihn stark, obwohl Kono zu seiner Faktion gehört. Faktionen, das sind die innerparteilichen Gruppen in der LDP. Nach dem Geschmack von Abe und Aso ordnet sich der linksliberale AKW-Kritiker nicht genug der Parteidisziplin unter und weicht zu stark von ihrer nationalkonservativen Linie ab.

Der Draht zur Basis dünnt aus

Infolge dieser Taktiken lag Kishida bereits nach dem ersten Wahlgang mit 34 Prozent der Stimmen knapp vor Kono. Fast die Hälfte der Abgeordneten stimmte für ihn. Das starke Votum der Basis für Kono wurde dadurch neutralisiert. An dritter Stelle folgte die 60-jährige Ex-Innenministerin Sanae Takaichi und dahinter – weit abgeschlagen – die 61-jährige LDP-Generalsekretärin Seiko Noda.

Takaichi wurde massiv von Ex-Premier Abe unterstützt, jedoch nicht nur wegen ihrer rechtskonservativen Überzeugungen. Durch ihre Aufstellung wollte Abe auch verhindern, dass Kono im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen würde. Das Kalkül ging auf: Eine Stichwahl wurde notwendig, dabei setzte sich Kishida mit 60 Prozent der Stimmen gegen Kono durch.

Ein "neuer japanischer Kapitalismus"

Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, der zweimal gegen Abe im Kampf um den Parteivorsitz unterlag, kritisierte die Manöver im Schatten. "Wir müssen über die Kluft zwischen der Basis und den Abgeordneten nachdenken", forderte er. Kishida könne sich nun nicht gegen die Wünsche von Abe stellen. "Vielleicht ist er eine Marionette? Auf jeden Fall ist er von Abe abhängig", meinte Ishiba.

Vor der Abstimmung hatte Kishida zwar die latente Unzufriedenheit mit der Ära Abe aufgegriffen und eine Abkehr von dessen Neoliberalismus gefordert. Ein "neuer japanischer Kapitalismus" müsse die verschärfte soziale Ungleichheit verringern, erklärte Kishida. Aber nach seinem Sieg kündigte der designierte Premierminister als Erstes an, bis zum Jahresende ein großes Konjunkturpaket zu schnüren, um den Aufschwung nach der Pandemie anzukurbeln. Die zusätzlichen Staatsausgaben sollen Kishida und der LDP nach bewährtem Muster dabei helfen, die im November anstehende Parlamentswahl klar zu gewinnen. (Martin Fritz aus Tokio, 30.9.2021)