Klägervertreter Peter Kolba vom Verbrauscherschutzverein und Anwalt Alexander Klauser befürchten, dass sich die möglichen Zeugen nach dem Instanzenzug nicht mehr erinnern werden.

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Für Hans Bucher dürfte sich die Anreise aus Baden-Württemberg kaum gelohnt haben. Er will sich im März 2020 in Ischgl mit dem damals neuartigen Coronavirus infiziert haben und klagt nun – wie viele andere – die Republik Österreich auf Schadenersatz. Bucher, der in Wirklichkeit anders heißt, ist Mitte 50 und leidet noch immer an den Folgen seines letzten Skiurlaubs im Tiroler Paznauntal: Er landete kurz danach auf der Intensivstation, wurde für 23 Tage ins Koma versetzt, seine Lunge bleibt nachhaltig beschädigt. Am Donnerstag fand für ihn am Landesgericht für Zivilrechtssachen der erste Prozess statt. Nach weniger als einer Stunde war er auch schon wieder vorbei: Richterin Julia Kömürcü-Spielbüchler wies alle zusätzlichen Beweisanträge ab. Sie will über den Anspruch auf Schadenersatz und Entschädigung für Verdienstentgang in der Höhe von 90.000 Euro im Grunde nach entscheiden. Das Urteil ergeht schriftlich.

Buchers Prozess ist der erste eines deutschen Ischgl-Urlaubers. Vor rund zwei Wochen machte der Fall des an Covid verstorbenen Ex-Journalisten Johannes Schopf den Auftakt für rund acht Prozesse, die derzeit verhandelt werden. Mehrere hundert Klagen dürften folgen. Alle Klägerinnen und Kläger sehen Österreichs Behörden in der Verantwortung: Sie hätten durch schnellere und besser kontrollierte Maßnahmen den Tourismusbetrieb früher schließen und das Abreisechaos verhindern müssen. Die Republik bestreitet die Vorwürfe. Das Epidemiegesetz, nach dem die Corona-Maßnahmen erlassen wurden, verpflichte die Behörden zum Schutz der Allgemeinheit. Individuelle Ansprüche seien illegitim. Außerdem seien die damaligen Maßnahmen vertretbar gewesen.

Besuch im Kitzloch

Bucher argumentiert in der Klage, sich vor seiner Reise über die Infektionslage informiert zu haben. Er vertraute darauf, dass es weder vorab noch vor Ort Warnungen seitens der Behörden gab. Der Bankangestellte aus Baden-Württemberg bezog schließlich am 5. März 2020 in Galtür Quartier, besuchte aber auch die Après-Ski-Bar Kitzloch in Ischgl, wo sich zahlreiche Urlauber angesteckt haben sollen. Noch am Tag seiner Anreise gab das Land Tirol bekannt, dass es aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich sei, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist. Diese Meldung erfolgte, nachdem Island den Wintersportort Ischgl bereits als Risikogebiet deklariert hatte.

Die Richterin in Buchers Fall tat es ihrer Kollegin, die über die Ansprüche der Hinterbliebenen von Schopf verhandelt, gleich. Beide hätten genug Unterlagen um die Sache zu entscheiden. Anders sehen es die Kläger: Sie wollten zahlreiche Zeugen hören, die zur Aufklärung beitragen hätten sollen. Darunter auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und weitere Minister.

Anträge auf Beweissicherung

Weil zuerst über die Rechtsfrage entschieden werden soll, ob das Epidemiegesetz überhaupt auch zum Schutz der Gesundheit von Individuen anwendbar ist, könnten – bei einer Entscheidung im Sinne der Kläger – bis zu einem Beweisverfahren Jahre vergehen. Die Kläger, die vom Verbraucherschutzverein (VSV) und Anwalt Alexander Klauser vertreten werden, kündigten an, Anträge zur Beweissicherung zu stellen. "Wenn Zeugen dann erst in drei bis vier Jahren seit den Ereignissen vor Ort vernommen werden, dann kann sich kaum mehr jemand an Details erinnern", sagt VSV-Obmann Peter Kolba in einer Aussendung. Rasche Vernehmungen seien auch deshalb nötig, weil Sitzungen des zentralen Krisenstabs im Innenministeriums (SKKM) im Frühjahr 2020 nicht offiziell protokolliert wurden.

Bereits bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck in der Causa hätten sich einige Beamte auf Erinnerungslücken berufen, sagt Kolba. Die Behörden ermittelten gegen fünf Beschuldigte im Behördenumfeld wegen mutmaßlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Das Justizministerium entscheidet, ob Anklage erhoben wird. (Laurin Lorenz, 30.9.2021)