Der Helmut-Zilk-Platz wurde am 1. Dezember 2009 vom Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft nach dem 2008 verstorbenen Bürgermeister Helmut Zilk, der 1984 bis 1994 amtierte, benannt.

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Der Wiener Donaukanal wird weiblich – zumindest jene Teile, die sich über den zweiten Bezirk erstrecken. Insgesamt durchzieht das 17 Kilometer lange Ufer sieben Bezirke. Neun Abschnitte der Promenade sollen nach einem aktuellen Beschluss der Bezirksvertretung Leopoldstadt nach Frauen benannt werden: Im oberen Drittel sollen neue Schilder an Widerstandskämpferinnen und Verfolgte des NS-Regimes, an jüdische Künstlerinnen und am Ende, Richtung Prater hin, an die 1938 nach London geflohene Schwimmerin Lucie Gordian erinnern. Im 20. Jahrhundert noch trug in der Leopoldstadt keine einzige Verkehrsfläche den Namen einer Frau. Bis Ende 2016 trugen immer noch zehnmal mehr Straßen, Gassen, Wege, Plätze, Parks, Brücken oder Stege Männernamen. Langsam, aber doch verschiebt sich das Verhältnis. Das gilt nicht nur für den zweiten Bezirk, sondern für die gesamte Stadt.

Der Überhang an Männern im Stadtbild ist historisch bedingt. Dass er nur langsam schrumpft, hängt auch damit zusammen, dass freie Flächen in einer Großstadt begrenzt sind. "Wir freuen uns über jedes Zitzerl, dem wir einen Namen geben können", sagt Nina Nöhrig, grüne Kultursprecherin im Zweiten.

Prozess der Namensfindung

Überall dort, wo Wien wächst, tun sich hingegen neue Optionen auf. Bis 2030 sollen in der Hauptstadt über zwei Millionen Menschen leben. Für sie muss Wien nicht nur Wohnraum generieren, sondern auch Adressen. Die Namensfindung nimmt ihren Anfang im jeweiligen Bezirk, in dessen Zuständigkeitsbereich das betroffene Stück Land fällt: Ideen werden von der Bezirksvorstehung eingebracht. Die Auswahl gelangt über einen entsprechenden Antrag in die Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7), wo Nachforschungen starten. Handelt es sich um Personennamen, durchleuchten mehrere Stellen ihren Hintergrund: das Stadt- und Landesarchiv, die Wienbibliothek und je nach Geburtsjahr auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Die MA 21 (Stadtteil planung und Flächenwidmung) wiederum gibt Auskunft darüber, welche Verkehrsfläche überhaupt infrage kommt. Bietet sich zum Beispiel ein Park an, muss die MA 42 (Stadtgartenamt) befragt werden, im Fall einer Brücke die MA 29 (Brückenbau).

Erst Orientierung, dann Ehre

Nächste Station ist der vom Wiener Gemeinderat eingesetzte Unterausschuss für Verkehrsflächenbenennung. Er empfiehlt die Annahme oder Ablehnung, wobei laut Gemeinde rat Georg Niedermühlbichler, der dem Unterausschuss vorsitzt, in der Regel gute zwei Drittel befürwortet werden. Wichtigstes Kriterium, so der ehemalige SPÖ-Landesparteisekretär: "Dass der Postler oder die Postlerin weiß, wohin er oder sie den Brief zustellen soll. Die Benennung dient in erster Linie der Orientierung. Erst dann kommen Erinnerung und Ehrung." Deshalb setze man auch dort, wo Menschen angesiedelt sind, möglichst auf kurze Namen, vermeide Doppelungen und Titel, wenn möglich auch Vornamen. Wobei Frauen meist Vornamen erhielten, "wegen der Sichtbarkeit", wie Ursula Schwarz, die das Referat Kulturelles Erbe der MA 7 leitet, sagt. Männer hingegen in der Regel nur, wenn es zur besseren Unterscheidung beitrage: "Sonst hätten wir an die 15 Schubert gassen – und kein Mensch würde wissen, wo er sich gerade befindet."

Gemeinderat Georg Niedermühlbichler vor dem Rathaus, das immer wieder für mögliche Umbenennungen im Gespräch gewesen ist.
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Letzter Stopp ist der Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft, der den Beschluss formal absegnet. Insgesamt sei der Namensfindungsprozess "ein ziemlich großer Aufwand", resümiert Schwarz, mitunter dauere dieser mehrere Monate. Das Ergebnis spiegelt wider, welche Akzente eine Stadt setzt, auf welche Erinnerung sie Wert legt und welchen Umgang sie mit ihrer Geschichte pflegt. Die Debatte um mögliche Umbenennungen des öffentlichen Raums wird längst auch in Wien geführt. 2013 ließ die Stadt mithilfe von Wissenschaftern Straßennamen auf ihre historische Bedenklichkeit untersuchen. Sie stuften 171 Namen als diskussionswürdig oder problematisch ein. 28 Straßen erhielten in weiterer Folge eine Zusatztafel, die auf diese Schattenseiten hinweist. Vergangenen September erschien ein Ergänzungsband mit 23 weiteren, zuvor übersehenen Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit oder Kolonialbezug.

Wien setzt also auf Kontext statt Umbenennung, das ist eine von mehreren Grundsatzentscheidungen bei der Namensvergabe. Peter Autengruber, Verfasser des Lexikons der Wiener Straßennamen, sieht weitere Entwicklungen: "Der Trend geht momentan dahin, Straßen nach Personen zu benennen." Über 60 Prozent der Stadt sind laut Autengruber nach Personen benannt. Nehme man alle Benennungen der vergangenen 25 Jahre her, seien es sogar weit über 90 Prozent. Weiterer Trend: der Versuch, Gendergerechtigkeit herzustellen. In einer Richtlinie von 2013 hielt Wien fest, dass Straßennamen vermehrt weiblich sein sollen. Aktuell sind es elf Prozent. Ähnlich wie bereits im Erweiterungsgebiet "In der Wiesen" in Liesing finden sich auch in Aspern, dem größten Stadtentwicklungs gebiet Wiens im 22. Bezirk, nahezu ausschließlich Frauen auf den Straßenschildern wieder. Einzige Ausnahmen sind die Sonnenallee, die Seestadtstraße, der Seepark und der Nelson-Mandela-Platz.

Doch oftmals, sagt Autengruber, sei die Adressfindung letztlich Zufall. Schließlich könne sich jede Privatperson, Interessengruppe oder kirchliche Institution Ideen einbringen. So gingen einige jüngere Adressen mit Bezug auf ehemalige Zauberer auf die Initiative des Wiener Magiers "Magic Christian" zurück (wie der Compars-Herrmann-Weg). Das Norwegerviertel in der Donaustadt entstand auf Inititiative der österreichisch-norwegischen Gesellschaft, die "Habe-die-Ehre -Gasse" auf die eines ehemaligen Bezirkschefs. Er hatte dazu aufgerufen, altwienerische Wörter einzubringen. So kam die Donaustadt auch zu ihrer Schlapfen- und Haberergasse.

Quiz: Wie viel wissen Sie über Wiens Straßennamen?

(Anna Giulia Fink, Moritz Leidinger, Michael Matzenberger, 7.10.2021)