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Applaus, Applaus für Herrscher Kim Jong-un im nordkoreanischen Parlament.

Foto: Reuters / KCNA

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Die Hwasong-8-Rakete könnte das strategische Gleichgewicht zwischen Nordkorea und den USA ändern.

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Pjöngjang/Seoul – Heiß-kalt sind die Signale, die Nordkorea derzeit wieder einmal aussendet. Am Dienstag testete man eine Waffe, die die Regierung als Hyperschalgeschoß bezeichnete und die, wenn es sich wirklich um ein derartiges Konstrukt handelt, einen massiven Aufrüstungsschritt im Konflikt mit den USA bedeutet. Tags darauf wies Diktator Kim Jong-un Bemühungen der USA um eine diplomatische Verständigung brüsk zurück – um nur wenig später, in der Nacht auf Donnerstag, dem Nachbarn in Südkorea selbst Entspannung anzubieten.

Ganz klar war allerdings nicht, wie weit Nordkorea mit der Annäherung gehen will. Konkret bezieht sich das Angebot, das Pjöngjang am Donnerstag unterbreitet hat, zunächst einmal nur auf die militärische Hotline, die zwischen den beiden Staaten besteht. Sie soll dazu dienen, Konflikte zu verhindern, die sich ansonsten aus Missverständnissen ergeben könnten. Nordkorea kappt die Verbindung aber immer wieder, um so gegen angebliches Fehlverhalten des Südens zu demonstrieren. Zuletzt waren vor einigen Wochen die gemeinsamen Militärübungen Südkoreas mit den USA der Anlass für die Trennung.

Zeitfenster in Südkorea

Dass der Norden zugleich Spannungen anheizt und den Kontakt zum Süden sucht, hat mehrere Gründe. Zum einen befindet sich Pjöngjang in einer schweren Wirtschafts- und wohl auch Nahrungskrise, ein Mindestmaß an Wohlwollen aus dem Süden ist also nötig. Zum anderen glaubt man in Pjöngjang auch, ein günstiges Zeitfenster wahrzunehmen. In Südkorea wird im März 2022 gewählt, der aktuelle Präsident Moon Jae-in ist noch bis Mai des kommenden Jahres im Amt und darf dann nicht noch einmal kandidieren. Er hat viel politisches Kapital in einen Abbau der Spannungen investiert, den er auch als Teil seines Lebenswerks sieht. Und er wäre wohl auch an weiteren Schritten interessiert. Nordkorea hat angedeutet, diese – vielleicht auch ein neues Treffen zwischen Moon und Kim – seien im Bereich des Denkbaren. Kim betonte am Donnerstag auch erneut, dass man "weder das Ziel noch einen Grund" habe, Südkorea zu provozieren.

Zugleich will der Norden aber auch den Druck auf die USA erhöhen. Zwar hat Washington zuletzt immer wieder neue Gespräche angeboten und betont, dass man auf eine diplomatische Lösung im Konflikt setze. Konkrete Schritte aus Washington sieht Pjöngjang aber nicht. Die Strategie der USA sei "ein Taschenspielertrick, um feindselige Aktionen zu verbergen", ließt Kim nun mitteilen. Er erhofft sich vor allem, eine Lockerung der internationalen Sanktionen gegen sein Land zu erwirken, um so die wirtschaftliche Misere etwas besser unter Kontrolle bringen zu können.

Allerdings ist noch immer völlig unklar, wie die Lösung aussehen könnte, auf die man in neuen Gesprächen hinarbeiten würde. Das Ziel, eine "Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel", haben beide Gesprächspartner gemeinsam – der Weg dorthin unterscheidet sich aber stark, und ein Kompromisspfad ist nicht in Aussicht. Die USA wollen von Nordkorea einen vollkommenen Verzicht auf seine Rüstungsbemühungen und auf die Atomentwicklung. Kim Jong-un will vorher ein Ende aller Sanktionen. Er sagte dem damaligen Präsidenten Donald Trump aber einen Verzicht auf Atom- und Interkontinentalraketentests zu. Das hat er bisher auch eingehalten.

Abschreckung wiederhergestellt

Die Entwicklung läuft indes weiter. Immer wieder hat das Land neue Raketentechnologie vorgestellt. Die jüngste Hyperschallrakete Hwasong-8, die nach nordkoreanischen Angaben auch nuklear bestückt werden kann, ist ein weiterer deutlicher Schritt. Sie könnte, wenn sie so wie geplant funktioniert, die US-Raketenabwehr überwinden. Ein wichtiger Baustein der amerikanischen Strategie, um zumindest die Bundesstaaten auf dem Kontinent im Kriegsfall zu schützen, würde damit ins Wanken geraten. Nordkorea hätte sein Abschreckungspotenzial daher deutlich ausgebaut.

Zudem hat Pjöngjang seine Atomanlage in Yongbyon wieder in Betrieb genommen, wie die Atomenergiebehörde IAEA schon vor einem Monat meldete. Diese wird ausschließlich für die Herstellung von waffenfähigem Material, im konkreten Fall Plutonium, genutzt. Kim hatte Trump beim Gipfel in Saigon 2019 angeboten, den Reaktor abzureißen. Der US-Präsident lehnte das aber ab, weil Yongbyon zwar der wichtigste, aber nicht der einzige Atomstandort in Nordkorea ist.

Wie Drohungen und freundliche Gesten nun zusammenpassen? Möglich wäre, dass Nordkorea mit dem Waffenbau die Voraussetzungen für Gespräche schaffen will: Immerhin hat man auch mehr Abrüstungsschritte anzubieten, wenn man vorher stärker aufrüstet. Aus dem Nichts würden neue Gespräche aber wohl nicht entstehen. Auch die Regierung von US-Präsident Joe Biden müsste wohl konkretere Vorschläge machen. Ob sie angesichts interner und außenpolitischer Herausforderungen rund um Infrastruktur, Corona, Budget und Afghanistan derzeit daran interessiert ist, ist aber offen. Was wiederum weiteres Buhlen um Aufmerksamkeit durch womöglich spektakulärere nordkoreanische Maßnahmen denkbar erscheinen lässt. (Manuel Escher, 30.9.2021)