Eine endgültige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird in den kommenden Monaten erwartet.

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Laut dem Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) widerspricht es Unionsrecht, wenn ein EU-Staat einen Antrag auf internationalen Schutz automatisch für unzulässig erklärt, wenn der Flüchtlingsstatus dem Antragsteller bereits in einem anderen EU-Staat zuerkannt worden ist. Das Kindeswohl sei im Bezug auf das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens vorrangig zu berücksichtigen, und könne die Zulässigkeit eines solchen Antrags rechtfertigen, so der Generalanwalt.

Asyl in Österreich, Töchter in Belgien

Anlassfall für das EuGH-Gutachten ist der Fall eines in Österreich anerkannten syrischen Flüchtlings. Der Mann hatte in Belgien seine beiden Töchtern, von denen die eine minderjährig war und die beide subsidiären Schutz genossen, besucht und dort erneut einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dieser Antrag wurde abgelehnt, da der Syrer bereits in Österreich als Flüchtling anerkannt worden war. Der Mann ging gegen diese Entscheidung vor und rief nach dem Rat für Ausländerstreitsachen den belgischen Staatsrat an, der wiederum den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchte.

In seinen am Donnerstag verlesenen Schlussanträgen vertrat der Generalanwalt die Auffassung, dass der EU-Staat, in dem ein neuerlicher Antrag auf internationalen Schutz gestellt werde, beurteilen müsse, ob eine ernsthafte Gefahr der Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens im Bezug auf das Kindeswohl bestünde. Zu berücksichtigen sei dabei die Rechtsstellung der internationalen Schutz beantragenden Person in dem EU-Staat, in dem sie sich gemeinsam mit dem Familienangehörigen aufhalte. Ebenso müsse die Art der Beziehungen, die der Betreffende zu diesem Familienmitglied unterhalte, in die Beurteilung einbezogen werden.

Kein automatischer Asylstatus für Angehörige

Fehle es dem Betreffenden an einem entsprechenden Aufenthaltstitel, müssten die zuständigen nationalen Behörden die in Rede stehende familiäre Situation anhand aller relevanten Faktoren bewerten. Dazu zähle etwa das Alter des Kindes, dessen körperliche und emotionale Entwicklung sowie der Grad seiner affektiven Bindung an sein Elternteil. Ein Antrag auf internationalen Schutz allein auf der Grundlage eines notwendigen Familienverbands in einem EU-Staat könne aber keinen Erfolg habe, so das Gutachten. Auch sehe das Unionsrecht nicht vor, dass einem Familienangehörigen einer Person, die internationalen Schutz genieße, automatisch ein Flüchtlingsstatus in abgeleiteter Form zuzuerkennen sei.

Das Gutachten des EuGH-Generalanwalts ist für die EuGH-Richter nicht bindend. In den meisten Fällen folgen die Richter jedoch der Empfehlung des Generalanwalts. (APA, 30.9.2021)