Was man den Grazern vorwerfen muss: Sie sind schrecklich undankbar. Da hält einer achtzehn Jahre lang seine schützende und helfende Hand über sie, aber wenn es zur Naglprobe kommt, verlieren sie jede Scheu vor der Diktatur des Proletariats in ihrer karitativen Variante. Das war zu viel Graznost für die Schutzmantelprimadonna im Rathaus. Ohne Rücksicht darauf, was aus einem ungeschützten Graz nun werden soll, ließ sie die Stadt in einem ungewissen Schicksal und die Republik in quälender ideologischer Ratlosigkeit zurück.

Diesen Wahlerfolg wird man den Siegern nicht verzeihen, zu viel kommt zusammen. Eine Partei mit Kommunismus im Firmenlogo darf, wenn auch ihre Aktivitäten sonst nichts davon erkennen lassen, in Österreich nie so erfolgreich werden, wie man es einer Partei seit langem gestattet, deren neonazistische Ausrutscher mehr oder weniger als Tradition akzeptiert werden. Ein FPÖ-Bürgermeister hat in Graz einst weniger Unruhe erzeugt als nun die Möglichkeit, eine Frau könnte in dieses Amt kommen, die vielleicht als Hausmütterchen der Weltrevolution durchgeht, aber gewiss nicht als die Stalinistin, zu der sie nun hingebogen werden soll. Ob Nordkorea schon gratuliert habe, war nur eine der in diese Richtung zielenden Fragen der Kronen Zeitung. Ohne politische Sympathie, aber der Ordnung halber könnte man bei dieser Gelegenheit wieder einmal daran erinnern, dass die KPÖ eine der drei Parteien ist, die die Zweite Republik mitbegründet haben, und zu deren Geburt jedenfalls mehr beigetragen hat als jene, die die Erste volkserhoben zu Grabe getragen haben, ohne dass es ihnen später geschadet hätte.

Elke Kahr konnte sogar in den bürgerlichen Domänen der Stadt große Erfolge erzielen.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Skandalöse Erfolge

Und wär’s nur der Kommunismus. Dass es auch noch eine Frau war, die einen Langzeitbürgermeister gedemütigt und bei den Vorzugsstimmen weit überflügelt hat, ja sogar in den bürgerlichen Domänen der Stadt skandalöse Erfolge erzielen konnte, das ist einfach zu viel. Besonders peinlich, dass die Kommunistin damit, wie sie und ihre Genossen sich seit Jahren um jene Grazerinnen und Grazer gekümmert haben, die der helfenden Hand des Bürgermeisters offenbar seit langem entglitten waren, die Mängel christlich-sozialer Politik öffentlich macht. Das lässt sich nicht widerlegen, umso ungehaltener schluckt man’s.

Dass die KPÖ nach diesem Sonntag österreichweit vor einem kometenhaften Aufstieg steht, ist eher unwahrscheinlich. Umso komischer, wie nun die Fehler und Verbrechen unter sowjetkommunistischen Diktaturen in Erinnerung gerufen werden. Wogegen prinzipiell nichts zu sagen ist, aber es würde mehr zur Aufklärung beitragen, geschähe dies nicht reflexartig und im Bemühen, aus einer Grazer Mücke die klassenlose Gesellschaft hervorzuzaubern. Frau Kahrs KPÖ ist sicher eine Partei neuen Typs, aber sicher nicht eine, wie sie Lenin vorgeschwebt ist. Der hatte es nicht so mit dem Karitativen. In einem Land, in dem ein Strache Vizekanzler und ein Kickl Innenminister werden kann, sollte sich mit einer Bürgermeisterin Kahr leben lassen.

Wird sie es, steht sie vor der Frage, die schon Lenin gestellt hat: Was tun? Jene, die sie gewählt haben, erwarten wohl, dass sie die Probleme löst, die sie bisher bearbeitet hat. Und einige mehr. Das werden die Mühen der Gebirge, und Hilfe der Verlierer ist nicht zu erwarten. (Günter Traxler, 1.10.2021)