In zwei Prozessen zweimal verurteilt: Frankreichs ehemaliger Präsident Nicolas Sarkozy hat in seiner Partei immer noch Einfluss, aber irgendwann wird wohl auch er untragbar.

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So als wäre nichts los, hatte Nicolas Sarkozy noch am Vortag im Fernsehen für sein neues Buch Promenades geworben. Staunend erfuhr die Nation, dass der ehemalige Staatspräsident (2007 bis 2012) heute kulturelle Spaziergänge auf den Spuren von Émile Zola und Pablo Picasso unternimmt.

Einen Tag später, am Donnerstag, war dann Schluss mit Schöngeist und Müßiggang: Ein Pariser Strafgericht verurteilte Sarkozy zu einem Jahr Haft – und zwar unbedingt. Das Delikt, für das der ehemalige französische Staatspräsident die Maximalstrafe bekam: Überschreitung der Wahlkampfausgaben im Jahr 2012. Statt sich an den Plafond von 22,5 Millionen Euro zu halten, hatte Sarkozys PR-Agentur Bygmalion 42,8 Millionen ausgegeben. Mit falschen Rechnungen wurden die Mehrausgaben einfach der konservativen Partei UMP überwiesen – das erfüllt auch den Tatbestand des Betrugs.

In der Gerichtsverhandlung behauptete Sarkozy, er habe von alldem nichts gewusst. Einer der 13 Mitangeklagten, die am Mittwoch ebenfalls mehrjährige Gefängnisstrafen erhielten, bekannte dagegen in der Einvernahme: "Alle waren auf dem Laufenden, von der Empfangsdame bis zu Nicolas Sarkozy." Die falschen Rechnungen hätten auf einer "kollegialen Entscheidung" beruht.

Härter als der Staatsanwalt

Auch die Richterin sagte am Mittwoch, Sarkozy habe den gesetzlichen Rahmen gekannt und die Ausgaben "gebilligt". Mit der Maximalstrafe für das Delikt der Plafondüberschreitung übertrifft das Gericht sogar den Antrag der Staatsanwaltschaft, die für Sarkozy bloß sechs Monate Haft gefordert hatte.

Sarkozys Anwalt legte umgehend Berufung ein. Anspruch auf politische Unschuldsvermutung hat der ehemalige Staatspräsident aber nicht mehr. Schon im März war er in einer anderen Affäre wegen Korruption und passiver Bestechung zu drei Jahren Haft – davon ein Jahr unbedingt – verurteilt worden: Sarkozy soll versucht haben, einem Bekannten für eine vertrauliche Rechtsauskunft zu einem Gefälligkeitsposten in Monaco zu verhelfen.

In beiden Fällen wird der Ehegatte der Chansonsängerin Carla Bruni seine Strafe nicht absitzen müssen, sondern sie im Hausarrest mit elektronischer Fußfessel verbringen können. Ein damit bestückter Ex-Präsident wäre indes auch für Frankreich ein absolutes Novum. Egal ob die beiden Urteile rechtskräftig werden oder nicht: Die Schwere der Anschuldigungen werden den heute 66-Jährigen wohl an jedem Comeback hindern.

Immer noch der "Königsmacher"

Aber es geht nicht nur um Sarkozy: Der Ziehsohn von Parteigründer Jacques Chirac verfügt in seiner Partei, die heute Les Républicains (LR) heißt, immer noch über viel Einfluss. Der "Königsmacher", wie ihn der Radiosender France-Info erst am Donnerstag wieder nannte, empfängt in seinem Pariser Büro unweit vom präsidialen Élysée-Palast regelmäßig LR-Vertreter zur Audienz. Sein Wort, hieß es bisher, entscheide darüber, wen die französischen Konservativen im April 2022 ins Präsidentschaftsrennen schicken werden: Xavier Bertrand, Valérie Pécresse oder Michel Barnier.

Die Entscheidung über die Kandidatur kann in der Tat die ganze Wahl entscheiden. Die bisherigen Favoriten Emmanuel Macron und Marine Le Pen gelten als angeschlagen; die konservativen Verfechter einer härteren Immigrationspolitik, wie sie auch Sarkozy verkörpert, sind dagegen landesweit im Aufwind.

Doch das Doppelurteil gegen den Paten der Republikaner droht die Gewichte zu verlagern. Die drei LR-Bewerber drückten ihm im besten Fall ihre "Freundschaft" aus – aber nicht mehr. Sie müssen befürchten, dass die harten Schuldsprüche der Justiz auf sie selber abfärben. Kommentatoren erinnern bereits an den Fall François Fillon: Der Ex-Premier hatte 2017 seinen sicher geglaubten Präsidentschaftssieg wegen brisanter Enthüllungen verspielt.

Ab wann wird man zur Belastung?

Auch jetzt dürften etliche bürgerliche Wählerinnen und Wähler die Republikaner wieder unter die verhassten Altparteien einordnen. Ob sie stattdessen lieber auf Populisten oder abermals auf Macron setzen? Sarkozy wird sich jedenfalls hüten müssen, an vorderster Front Kampagne für sein "Fohlen" (so der Pariser Politjargon) zu machen. Dafür erhält er eine Gnadenfrist für weitere Promenaden – bei denen er darüber sinnieren kann, ab wann man für seine Partei definitiv zur Altlast wird. (Stefan Brändle aus Paris, 30.9.2021)