Das abgebildete Audimax an der Uni Wien ist wegen des U-Bahn-Baus für den Lehrbetrieb gesperrt. In anderen Hörsälen, nicht nur in Wien, muss jeder zweite Platz frei bleiben. Auch deshalb bleibt mancher Kurs digital

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Die akademische Viertelstunde ist weitgehend verschwunden, jetzt kommt mancherorts die akademische Dreiviertelstunde auf Studierende zu. Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: "Seid bitte 30 bis 45 Minuten vor Beginn der Lehrveranstaltungen oder Prüfungen vor Ort", heißt es da etwa in einem Leitfaden der Wirtschaftsuni Wien zum nahenden Start des neuen Studienjahres. Ab kommender Woche sollen nach drei Semestern, in denen nahezu vollständiges Distance-Learning angesagt war, endlich wieder Leben in Hörsälen und Seminarräumen zu spüren sein. Wer zu Beginn der Pandemie seinen Bachelor begonnen hat, mag im Einklang mit dem vorgegebenen Studienpfad schon zur Hälfte fertig sein. Von innen kennt er oder sie die Uni aber nicht.

Quote an Präsenz liegt an Unis

Für den Herbst hat Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) als Devise ausgegeben, dass die Unis "so weit wie möglich" in den Vollbetrieb mit Präsenzlehre zurückkehren sollen. Die Formulierung ist recht schwammig, denn was ihnen möglich erscheint, bestimmen die Unis selbst – mit durchaus unterschiedlichen Konsequenzen.

Die Uni Graz führt nahezu hundert Prozent der Lehrveranstaltungen wieder vor Ort durch, die Uni Wien bleibt zu 60 Prozent rein oder teilweise digital (siehe Infobox unten). Eine pauschale Antwort darauf, was den Studierenden lieber ist, gibt es nicht. Nebenher berufstätigen Studierenden kommt es mitunter gelegen, wenn sie nicht zu einer fixen Uhrzeit extra zur Uni fahren müssen, sondern nur den PC einzuschalten brauchen oder eine Vorlesung später ansehen können. Andere bedauern, dass in sterilen Videokonferenzen keine Debatten möglich sind und der kontroverse Diskurs verarmt.

Jedenfalls zeigen alle Erhebungen, dass den Studierenden im Distance-Learning der soziale Austausch mit der Kollegenschaft abgeht und sie das Knüpfen neuer Kontakte vermissen. Der spontane Kaffeetratsch nach dem Seminar fehlt. Zudem stieg im Laufe der Pandemie die Zahl der Studierenden mit Lern- und Konzentrationsproblemen an: von 44 Prozent im April 2020 auf 56 Prozent im Februar 2021. Die psychologischen Beratungsstellen der Unis wurden in den vergangenen Semestern geradezu überrannt, was wohl auch mit der allgemeinen Lockdown-Situation zusammenhing. Im Frühjahr wurde daher das psychologische Personal deutlich aufgestockt.

Digitales Mikroskop

Mittlerweile regt sich zum Teil Unverständnis, warum manche Unis im neuen Semester nicht mehr Präsenz zulassen. Immerhin hatten – bis auf medizinische Ausnahmefälle – alle Studierenden die Chance, sich durch eine Impfung vor Covid zu schützen. Lokale, Clubs und Theater sind längst wieder offen. Sarah (Name geändert) studiert im zweiten Jahr Humanmedizin an der Med-Uni Wien, und langsam reißt ihr der Geduldsfaden: "In meinem Stundenplan habe ich pro Woche wieder nur eine Stunde mit Anwesenheit. Sogar Mikroskopieren findet nur online statt, genauso wie der Kurs über ärztliche Gesprächsführung. Das kann es nicht sein."

Der stellvertretende Curriculumsdirektor Günther Körmöczi sagt, die Med-Uni habe sich bemüht, die Lehre vor Ort in den Vordergrund zu stellen. Allerdings seien die Raumkapazitäten – bedingt durch die vom internen medizinischen Expertenteam empfohlene Ein-Meter-Abstandsregel – stark verknappt. Daher habe man den Präsenzbetrieb auf klinische Praktika fokussieren müssen: "Ich weiß, dass Onlineformate selbst bei Vorlesungen nicht die beste Lösung sind, aber wir müssen priorisieren. Wir haben sicher kein Motiv, die Studierenden künstlich auf Distanz zu halten." Körmöczi fügt hinzu: An der Med-Uni müsse man besonders vorsichtig zu sein, weil die meisten Lehrenden bei ihrer Haupttätigkeit im Krankenhaus ständigen Kontakt mit Patienten haben.

Autonomie bei Masken und Abständen

Das teilweise Verharren der Unis im Digitalen hängt neben gesundheitlichen Erwägungen aber auch mit der organisatorischen Last zusammen, die mit einem hohen Präsenzanteil in Corona-Zeiten verbunden ist. Da sie von den Verordnungen des Gesundheitsministers ausgenommen sind, dürfen beziehungsweise müssen die Unis ihre Hygieneregeln von Mindestabstand bis Maskenpflicht selbst festlegen. Mit dem ursprünglichen Sinn der Uni-Autonomie mag das wenig zu tun haben, aber de facto mutieren die Rektorate dadurch zu Gesundheitspolitikern eigener Art. Auf Basis des 2. Covid-Hochschulgesetzes legen die Rektorate außerdem fest, welche G-Nachweise sie von ihren Studierenden verlangen. In den allermeisten Fällen mündet das in die 3G-Regel, in epidemiologisch besonders riskanten Settings verschärfen manche auf 2G (geimpft oder genesen).

Wenn die Massen von, zu und durch die Unis strömen, bedeutet die Überprüfung der Nachweise – sei es am Eingang oder in der Lehrveranstaltung – einen gehörigen Zeitaufwand. Daher die zitierte Aufforderung an die WU-Studierenden, frühzeitig vor Ort zu sein.

Uniko-Präsidentin fordert mehr Geld

Zutrittsschleusen an den Gebäudeeingängen samt dort postierten Kontrolleuren gehen auch ins Geld: "Die massiven Zusatzkosten für Personal, technische und logistische Sonderlösungen müssen von den Unis alleine gestemmt werden", beklagt die Präsidentin der Universitätenkonferenz, Sabine Seidler, im Gespräch mit dem STANDARD. Zwar habe der Minister Geld für allfällige Test- oder Impfangebote bereitgestellt, doch bei den 3G-Kontrollen vermissten die Unis finanzielle Unterstützung. Seidler ist Rektorin der TU Wien, allein an ihrer Uni rechnet sie mit Mehrkosten von 90.000 Euro pro Woche, die für zusätzliches Sicherheitspersonal anfallen. Allein die Entwicklung und Implementierung des digitalen Zutrittssystems via App habe schon 40.000 Euro verschlungen. Seidlers Botschaft an die Regierung, um Lehre in allen Formen anbieten zu können: "Es braucht dringend eine Aufstockung der finanziellen Mittel, um einen sicheren und hochwertigen Uni-Betrieb auf internationalem Niveau zu gewährleisten."

Das Ministerium argumentiert, man habe den Unis im Vorjahr bereits ein Drittel der wegen sinkender Studierendenzahlen fälligen Rückzahlungen erlassen. Das dadurch einbehaltene Budget könnten die Unis für Corona-Zwecke verwenden. Das Ministerium werde aber niemanden alleine lassen, sagt ein Sprecher: "Wenn es wirklich nicht zu stemmen ist, sind wir bereit für weitere Gespräche." (Theo Anders, 1.10.2021)