Kunstsammlung im Wandel: Werke von Anita Leisz, Stanislav Kolibal, Michelangelo Pistoletto und Kenneth Noland.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Sei es die Entwicklung heimischer Bildhauerei oder die ungebrochene Aktualität feministischer Körperkunst: Rainer Fuchs vermittelt in seinem Abschnitt der Jubiläumsschau, welche Stellung die Kunst zu "Abstraktion. Natur. Körper" bezieht.

STANDARD: Im Jahr 1971 produzierte der US-Künstler John Baldessari ein Video, in dem er banale Gesten vollführte und dabei ständig den Satz "I am making art" wiederholte. Auf was zielte sein skurriler Auftritt ab?

Fuchs: Baldessari wollte damit traditionelle Formen der Kunst aushebeln. Er behauptete, Kunst zu machen, indem er einfache Bewegungen vollzog. Ermöglicht wurde dies durch die damalige Konzept- und Performancekunst, in der Sprache eine zentrale Rolle spielte. Das Erörtern der Rahmenbedingungen von Kunst wurde selbst zu Kunst. Bei Baldessari spielen dabei Witz und Ironie stets eine wichtige Rolle.

Reiner Fuchs ist als Chefkurator und stellvertretender Direktor am Wiener Mumok tätig.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

STANDARD: Ein kunsthistorischer Abschnitt von "Enjoy" demonstriert die Entwicklung der österreichischen Skulptur. Wie gelangte Roland Goeschl, der klassische Bildhauerei studiert hatte, zu seinen Kuben in Gelb, Rot und Blau?

Fuchs: Indem er aus dem zeitgenössischen Schema der Materialgerechtigkeit ausbrach, das hauptsächlich anthropomorphe Skulpturen in Stein, Metall oder Holz zuließ. Er fand dabei zu einer streng geometrischen Formensprache. Mit den drei Grundfarben sah es so aus, als ob er Mondrians malerischen Reduktivismus der Moderne ins Dreidimensionale übersetzen würde. Die Buntheit erinnert auch an die Knalligkeit der Pop-Art und rief damals bei den Vertretern der "farblosen" Bildhauerei Verwunderung und Kritik hervor.

STANDARD: Kunst aus Osteuropa ist in "Enjoy" stark vertreten. Von der rumänischen Gruppe Sigma entstand während der Ceaușescu-Diktatur die Skulptur einer riesigen Pusteblume. Ein verdeckt politisches Statement?

Fuchs: Die Künstler der Sigma-Gruppe wichen von der propagandistischen Kunst des Kommunismus ab. In ihren Arbeiten spiegelt sich die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen, mathematischen und philosophischen Erkenntnissen, wie das auch die geometrische Struktur der Pusteblume zeigt. Bei Sigma spiegelt sich daher die Freiheit des Geistes, die dem autoritären System und dessen Bevormundung des Denkens widersprach.

Natur und Gesellschaft: Lois Weinberger hält die Erde.
Foto: mumok

STANDARD: Sie zeigen die spektakulären Eingriffe der Land-Art, zum Beispiel Robert Smithsons riesige Steinspirale in einem See in Utah. Bewegten die Künstler um 1970 auch schon Umweltfragen?

Fuchs: Smithson hat sich in seiner Land-Art auf Landschaften konzentriert, die industriell ausgebeutet wurden. Er wollte diesen durch künstlerische Eingriffe neue Bedeutung und Sichtbarkeit verleihen. Insofern hat er ebenso für ökologische Fragen sensibilisiert wie die Künstlerinnen und Künstler der Arte Povera, die Natur und Technologie aufeinander bezogen, um zivilisatorischen Fortschritt mit Geschichtsbewusstsein zu verbinden.

STANDARD:Warum widmen sich die Künstler Lois Weinberger und Ingeborg Strobl sogenanntem "Unkraut"?

Fuchs: "Unkraut" ist bei Weinberger eine Metapher für gesellschaftlich Randständiges und zu Unrecht Ausgegrenztes. Der Künstler plädiert dafür, in Natur und Gesellschaft das Periphere im Blick zu behalten und ihm Bedeutung zuzumessen. Auch Strobl wendet sich mit Vorliebe peripher bewerteten Bereichen zu und misstraut dem Mainstream. Wenn sie das Überwuchern urbaner Stätten darstellt, kann man darin auch die Darstellung gesellschaftlicher Verdrängungen erkennen.

Körper im digitalen Zeitalter: Barbara Kapustas neue Welten.
Foto: mumok

STANDARD:Das 2018 entstandene Bild "Mickey Mouse" von Sonia Leimer sieht wie ein Abdruck auf dem Mond aus. Früher schwärmten Künstler für die Raumfahrt; dominiert heute ein humorvoller Zugang?

Fuchs: Frühere kosmische Utopien sind in Zeiten der Klimakrise und Umweltzerstörung einer dystopischen oder ironischen Betrachtung des Weltraums gewichen. Beispielhaft dafür sind Sonia Leimers Space Junk -Objekte, die vom Müll handeln, der unseren Planeten umkreist und auf uns herunterfällt. Die forcierte Digitalisierung erweist sich dabei nicht als Lösung aller Probleme, sondern als etwas, das letztlich wieder ein Problem schafft: banalen analogen Müll.

STANDARD:Der dritte Teil Ihrer Auswahl kreist um den Körper, der sich im digitalen Zeitalter zusehends verflüchtigt. Wie aktuell ist feministische Kunst wie die Performance "Hyperbulie" von Valie Export, für die sie sich selbst Stromschläge verpasste?

Fuchs: Valie Exports Performance, die ebenso vom gesellschaftlich produzierten Leid von Frauen handelt wie von der Notwendigkeit, trotz aller Widrigkeiten Widerstand zu leisten, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Im Gegenteil: Wir erkennen heute die Diskriminierung und Ausbeutung von Frauen in ihrem globalen Maßstab – von den religiösen Fundamentalisten und ihrer Frauenverachtung gar nicht zu reden. Exports Arbeit ist leider aktueller denn je. (Nicole Scheyerer, 1.10.2021)

mumokvienna