In der Stadt klebt man aufeinander.

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Spätestens seit dieser Corona -Geschichte sind Vergleiche zwischen Stadt- und Landleben in aller Munde. Der Vergleich ist ja auch sachlich gut begründet. In der Stadt klebt man aufeinander, die Chancen, dass einem ein bekennender Kickl-Fan, der seine verrotzten Nüstern ostentativ unmaskiert zur Schau trägt, eine Virenladung in den Nacken bläst, sind in den Wiener Öffis größer als auf einem Acker irgendwo hinter Litschau. Fahren Sie nur einmal in der Stoßzeit mit der U6.

Wohnen ist in der Stadt schweineteuer. Teleworken geht auch von außen her, also ergießen sich die Stadtflüchtlinge massenweise aufs Land, nur um draufzukommen, dass ihresgleichen die Preise hochgetrieben haben und ein grindiger Bauplatz in Kikeritspatschn am Popo der Welt mittlerweile fünf Jahresnettogehälter kostet. Auf dem Land ist es lauter, als sich das Romantiker vorstellen, und im Saugrobsein stehen die Bauern den Stadtrüpeln in nichts nach.

Angespanntes Verhältnis

Dass Stadt und Land seit je in einem angespannten Verhältnis zueinander stehen, zeigt sich im Beschimpfungsvokabular, mit dem man sich wechselseitig bedenkt. Was für den Wiener der Gscherte, ist für den Gscherten der "Weana", aber im abschätzigen Sinn. Bei den Burgenländern gab es in der älteren Generation für den Wiener den unfreundlichen Ausdruck "a sou a Bedschi" (von ungarisch "Bécs" für Wien).

Der feinsinnige Pariser nennt den Hinterwäldler "plouc", von den Amis wird er "bumpkin" oder "rube" geheißen. Rube! Wer erinnert sich nicht mit Gruseln, wie Hannibal Lecter im Schweigen der Lämmer Clarice Starling die Herkunft aus West Virginia ansieht und sie als herausgeputzten, Eindruck schindenden Bauerntrampel heruntermacht ("a well-scrubbed hustling rube").

Ein Freund (vom Land, jahrelang in Weltstädten zu Hause, jetzt wieder auf dem Land) hat mir erzählt, dass es in seinem Dorf eine Frau gibt, die erst Ärztin war und nun Sexspielzeug vertreibt. Kürzlich kreuzte sie mit einem halben Dutzend erotisch experimentierfreudiger Freunde in einem örtlichen Heurigen auf, alle in Latex gekleidet, um sich mit ein paar Achteln Grünem Veltliner zu laben, ehe es dann zu Hause richtig zur Sache ging. Landeier in Latex, quasi. In Wiener Heurigen sieht man das nie. Womöglich werden echt urbane Sitten inzwischen offener auf dem Land ausgelebt als in der Stadt. (Christoph Winder, 1.10.2021)